Von Gabriel Schnitzler.
Wieso „links sein“ tatsächlich „gegen Coronamaßnahmen sein“ heißt
Mit dem Inhalt des Artikels „Die Diktatur-Versteher“ vom 31.07.2020 bin ich nicht ganz einverstanden und würde gerne eine kritische Anmerkung vorschlagen.
Ich finde in dem vorgestellten Gedanken bereits einen Fehler reproduziert, den wir heute andauernd machen, obwohl er trivial ist. Namentlich, nur weil etwas „drauf steht“ auch davon auszugehen, dass dann auch ebendas „drin sein“ muss. In diesem Sinne wird immer wieder als „links“ benannt, wie Menschen sind, denken, sich äußern und handeln die sich selbst „links“ nennen, nur weil sie sich selbst „links“ nennen – unabhängig davon ob ihr Handeln und ihren Äußerungen tatsächlich objektiv links sind. Denn das ist ja nicht beliebig verhandelbar und veränderlich, je nach dem, wer diese Selbstzuschreibung gerade als Label führt, sondern es ist abhängig von einer mehr oder weniger Zutreffend Übereinstimmung im Denken und Handeln mit dem ursprünglichen und kontinuierlichen Theorieangebot.
Der Witz scheint, dass vieles „Linke“ (pseudo-/möchte gern oder wie auch immer man es bezeichnen könnte) de facto eben gerade gar keinen „traditionellen linken Ideologie-Ansätzen“ und Idealen bzw. Werten entspricht. Vielmehr hat eine regelrechte stille „Wert-Verdrehung“ statt gefunden. Das erscheint vielleicht zunächst skurril und grotesk, ist aber womöglich leicht zu verstehen und sehr plausibel.
Das gesamte linke Theorieangebot zeichnet sich dadurch aus, dass es
- für einen staatlichen Gesellschaftsvertrag (der moderne demokratische Nationalstaat zur Einhegung von Macht und Abschaffung von Herrschaft ist ein Konzept linker Aufklärungsphilosophen wie Kant und Rousseau, etc.),
- egalitär,
- humanistisch,
- solidarisch, inklusiv und in der inhaltlichen Konsequent
- Herrschafts-, Macht-, und Ideologiekritisch
ist. Was viele „Linke“ heute machen, läuft, wahrscheinlich durch die extrem aggressive „antideutsche“ (Selbstbezeichnung) ideologische Unterwanderung/Kaperung, genau jenen Kriterien radikal entgegen. Es ist nämlich staatsfeindlich, exzeptionalistisch (d.h. anti-egalitär und anti-humanistisch), identitätspolitisch (d.h. exklusiv und un-solidarisch) und sogar macht- und herrschaftskonsolidierend. Das ist besonders absurd, da insbesondere die solidarische und inklusive Überwindung möglicher identitärer Spaltungen durch die „internationalen Völkersolidarität“ aller Beherrschten gegen ihre Unterdrücker und Herrscher einer der markantesten und entscheidendsten Aspekte linker, emanzipatorischer Theorie ist. So heißt es sogar in der Internationalen an aller erster Stelle: „Wacht auf – Verdammte dieser Erde…!“ – „Verdammte“, nicht „Schwarze“, „Frauen“, „LGBTQ+…“ sonder einfach alle „dieser Erde“. Als solidarisierendes Merkmal reicht es, Beherrscht und Unterdrückt zu sein, egal wer, egal wie und egal wo.
Emanzipatorische Standards
Dieses „linke“ Handeln indes, wirkt statt dessen sogar macht- und herrschaftskonsolidierend. Es liefert die rhetorische Grundlage der Spaltung der Solidarität, von der nur die einen profitieren, die Herrschenden – denen sie dankbar in die Hände spielt – weil sie das einzige was ihre Herrschaft wirklich gefährden könnte, den einzigen Vorteil der „Vielen“ sabotiert (divide et impera). Und in dem es dankbar die rechtfertigenden-/relativierenden Grundlagen für die Herrschaftsrhetorik- und Ideologie der Mächtigen schafft. Mit dem exzeptionalistischen, exklusiven, „in-group“ – „Wir sind die Guten!“, dem die verhängnisvollen und absurden strategischen (Lager-)Rhetoriken „Der Zweck heiligt die Mittel“ und „Meines Feindes Freund ist mein Freund“ angehängt werden, werden universelle emanzipatorische Standards zu Gunsten der Herrschenden geschliffen, von eben denen, die sie sich eigentlich alleine gegenseitig konstituieren müssten. So werden zum Beispiel Einschränkungen von Grundrechten billigend hingenommen oder gar gefordert, wenn sie nur die richtigen treffen. Das ist besonders verheerend, weil wer „Gut“ und „Schlecht“ ist, ebenfalls keine objektive Tatsache in der Welt ist, sondern maßgeblich von denjenigen, die Meinungs- und Informationshegemonie inne haben bestimmt wird („Propaganda“, Edward Bernays). Der Rest ist Selbstzuschreibung und damit eben so wertlos, denn jeder kann sich „gut“ nennen und damit dann alles weitere legitimieren. Können, im starken Sinne, allerdings – denn vorausgesetzt ist vor allem, strukturell entsprechend privilegiert zu sein. Darum waren die ursprünglichen aufklärerischen, emanzipatorische Einsichten im Sinne aller Beherrschten universeller und nicht relativierbarer Natur, wie sie in Voltaires „Ich mag deine Meinung verdammen, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du sie sagen kannst“ oder Luxemburgs „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ klar und deutlich werden.
Damit entsprechen sie insgesamt inhaltlich eher faschistoiden, anti-emanzipatorischen und libertären Positionen, als eben gerade denen der traditionellen Linken und wirken damit faktisch in der Welt sogar dem ursprünglichen Theorieangebot entgegen gesetzt.
Wieso?
Das „Wieso? “ erscheint mir völlig evident. Für Mächtige und Herrschende zu jeder Zeit, war/ist das (echte) linke Theorieangebot dasjenige, was ihre Herrschaft mehr gefährdet als alles andere. Es dekonstruiert und entlarvt sie. Diese Transparenz würde dazu führen, dass die Beherrschten ihre Situation nicht mehr hinnehmen könnten. „Nichts ist verwunderlicher, als die Leichtigkeit mit der die Wenigen über vielen Herrschen – obwohl die (echte/eigentliche) Macht immer auf der Seite der Vielen läge“ (sinngem. Vgl. David Hume, Aufklärungsphilosoph im 18. Jh).
Daher ist aus der inneren Funktionslogik der Macht regelrecht zwingend, genau dieses Theorieangebot zu desavouieren, unterwandern, kapern und somit ungefährlich zu machen. Und das ist gelungen.
Ein Plädoyer
Ich möchte ein flammendes Plädoyer für dieses Theorieangebot sprechen, das sich aus der Antike, über die Aufklärungsphilosophie bis zur Frankfurter Schule erstreckt. Nur dieses, das echt linke Theorieangebot, kann uns helfen, uns Macht und Herrschaft endlich zu entledigen und uns als Menschen zu emanzipieren. Solange man darin einen Konsens findet, ist es meiner Meinung nach auch vollkommen egal, wie Leute sich nominell selber nennen und einordnen, da man nämlich an entscheidender Stelle inhaltlich, sachlich auf einer Seite steht (daher sind die Kategorien „links“ und „rechts“ in dieser Hinsicht egal und bergen sogar ein anti-emanzipatorisches Spaltungsrisiko). Tatsache bleibt aber auch, dass genau dieses Anliegen eben dem linken Theorieangebot entspricht: „Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx). Wenn wir, die „Einfachen“, „Vielen“, „Beherrschten“ dieses Theorieangebot zerstören und aushöhlen lassen oder aufgeben, entsprechen wir damit dem Interesse, Bestreben und Anliegen von Mächtigen und Herrschenden und geben das Theorieangebot auf, das unsere einzige Hoffnung wäre um uns von deren Herrschaft zu emanzipieren.