Kapitel 10: Vitamin D – ein Rattengift?

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Eigentlich gehört es nicht mehr zu unserem Kernthema – wir wollen die Frage trotzdem kurz streifen: Können sich Tiere, im Speziellen auch Haustiere, mit Vitamin D vergiften? Wie ist die Wirkung? Ist Vitamin D ein Rattengift?

Gefahr für Tiere ungleich größer

Foto: Tima Miroshnichenko                              Quelle: Pexels

Ja, für die meisten Tiere stellt Vitamin D, so lebenswichtig es auch für diese Kreaturen ist (siehe auch Kap. 18), eine unverhältnismäßig größere Gefahr für Vergiftungen dar als für uns. Und dennoch – das unterstreicht ein wenig die Wichtigkeit dieser Substanz – wird es z. B. Hunde-, Katzen- sowie Schweine- und sonstigem Viehfutter regelmäßig beigemischt, da ein entsprechender Mangel die Vierbeiner für eine ganze Reihe von Erkrankungen* (75) anfälliger macht.

Um es vorwegzunehmen: Vitamin D wird auch als Mäuse- und Rattengift verwendet. Es führt bei diesen Tieren – wie die vielen anderen klassischen Nagergifte auch – zu einem sehr qualvollen und oft tagelangen Todeskampf* (76).

Der Wirkmechanismus gleicht im Wesentlichen dem bei einer Intoxikation des Menschen. Er beruht also auf einem zu starken Anstieg der Kalziumkonzentration im Blut.  Symptome treten meist mit einer Verzögerung von anderthalb bis drei, nicht selten mehr Tagen auf und bestehen u. a. in Antriebsminderung, Appetitlosigkeit, Anstieg der Körpertemperatur, Durst, Erbrechen (teils blutig), schwarzem Kot („Teerstuhl“), Verstopfung, Nierenschmerzen, häufigem Wasserlassen, Koordinationsstörungen, Lähmungen, selten auch Krämpfen und im späteren Stadium zu zunehmender Luftnot. Speziell junge Kleintiere, z. B. Igel, erleiden häufig rasches Nierenversagen, der Urin bleibt aus.

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Also doch: Vitamin D – ein Rattengift … aber Gefahr droht prinzipiell nicht nur den schlauen Nagern.

Als Vergiftungsquellen bei Haus- und Nutztieren kommen neben Dosierungs- oder Mischfehlern bei der Futterzubereitung ebenso die Aufnahme von Rattenködern in Frage oder auch die von Vitamin D-haltigen Präparaten, die für den Menschen gedacht waren; hier ist insbesondere an das Abschlecken der menschlichen Haut zu denken, wenn Herrchen oder Frauchen sich wegen Schuppenflechte („Psoriasis“) oder anderer proliferativer Hautkrankheiten mit bestimmten Salben* (77) eingeschmiert haben.

Nicht nur klassische Haustiere betroffen

Bei Pflanzenfressern wie Rindern, Schafen, Ziegen oder gelegentlich auch Pferden führen schließlich hohe Mengen an Vitamin D in gewissen Pflanzen, zum Beispiel im Wiesen-Goldhafer* (78), zu Hypervitaminosen. Vergiftungen von Vieh sind als enzootische Kalzinose bekannt.

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Nicht vergessen werden soll auch die natürliche Nahrungskette: So kann sich eine Katze beim Fressen einer vergifteten Maus durchaus auch selbst vergiften. Dieses Problem berührt im Übrigen nicht nur Haustiere: Betroffen sein können alle möglichen Kleintiere wie Igel, Marder, Füchse, Raubvögel bzw. Eulen etc. – Entsprechende Vorsicht ist logischerweise auch bei der Aufzucht von Igeln, besonders von Igeljungen, geboten: Vitamin D sollte man hier nur in extrem niedrigen Mengen geben, wie sie in Milchaustauschfutter (Beispiel „esbilac“) bereits enthalten sind; auf keinen Fall sollte man hier noch etwas zusetzen, etwa in Form von Multibionta o. ä.!

Was tun im Fall der Fälle?

Was macht der Tierarzt in einem solchen Fall? Zunächst ist natürlich die Diagnosestellung von großer Wichtigkeit. Diese ist oft stark erschwert, da der Abstand der Giftaufnahme zum Beginn der Symptome z. B. beim Hund viele Tage, teils bis zu zwei Wochen betragen kann. Der Veterinär wird dann v. a. versuchen, die wichtigsten Lebensfunktionen („Vitalfunktionen“) zu stabilisieren – also Atmung, Kreislauf und Körpertemperatur.

Die Behandlung variiert bei jedem Haustier; beim Hund beispielsweise würde im Allgemeinen ein Auswaschen des Magens versucht werden. Darüber hinaus sind die Therapieprinzipien z. B. medikamentöser Art denen beim Menschen vergleichbar: Sie zielen auf ein rasches Ausschleusen des Kalziums. Auch würde man das Tier noch längere Zeit im Haus halten, damit es nicht dem Sonnenlicht ausgesetzt ist.

Keinesfalls vergessen sollte man, dass Tierfutter eben meist mit Vitamin D angereichert ist; entsprechend wäre hier in Absprache mit dem Tierdoktor für eine bestimmte Zeit auf weitgehend Vitamin D-freies Futter zu achten.

Anmerkungen (*):

(75): Ein Beispiel von vielen ist die im südlichen Afrika häufige, durch Zecken übertragene Babesiose [153], aber eben auch Rachitis, die z.B. bei allen höheren Tieren einschließlich Amphibien bekannt ist. Diese lässt sich auch bei Hunden experimentell auslösen, kommt ansonsten aber eher selten bei ihnen vor. Sie ist bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren oder Haustieren vor allem bei wachsenden Reptilien, Amphibien und Vögeln vor, innerhalb der Letzteren insbesondere bei Sing-, Papageien- und Hühnervögeln, die einseitig mit Körnermischungen aufgezogen werden. Bei Schlangen und Echsen kommt es dabei vor allem zu Verkrümmungen der Wirbelsäule, wobei Knochenbrüche vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule („Buckelbildung“) auftreten können. Schildkröten zeigen u. a. einen zu weichen Panzer. Bei Amphibien ist ein zu kleiner Unterkiefer charakteristisch.

(76): Bei einem modernen Vitamin D-Spray ist dieser Todeskampf angeblich auf einen Tag verkürzt.

(77): Diese können zum Beispiel Calcipotriol oder Tacalcitol enthalten.

(78): Die Art Trisetum flavescens ist eine insbesondere in Mittelgebirgslagen und im Hochgebirge europaweit und im Kaukasusraum verbreitete Pflanze und dient als wertvolles Futtergras; dieses enthält teils hohe Mengen an aktivem Vitamin D, also Calcitriol! Der Gehalt an Vitamin D-artigen Substanzen ist zum Zeitpunkt des Schossens am größten.Die u. U. toxische Wirkung bleibt auch im Dürrfutter bestehen, allerdings wird der entsprechende Gehalt durch Heuwerbung, geringgradig auch durch Silagebereitung, vermindert.

Vergleichbare Auswirkungen beim Vieh hat im tropischen Amerika, vorwiegend in der Karibik, der dort wachsense Hammerstrauch Cestrum diurnum, der zu den Nachtschattengewächsen gehört.

Quellen:

[153]: Dvir E, Rosa C, Handel I, Mellanby RJ, Schoeman JP. Vitamin D status in dogs with babesiosis. Onderstepoort J Vet Res. 2019 Mar 28;86(1):e1-e5. https://doi.org/10.4102/ojvr.v86i1.1644.

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