Schuld ist der Bürger – wenn das Problem immer die Anderen sind

Kürzlich war ich zu Gast im neu eröffneten Grundbad der Gemeinde Ebsdorfergrund in Heskem, das nach eineinhalbjähriger Renovierung seine Tore wieder aufgemacht hat. Wenn einem der Trubel im Aquamar zu viel ist, und man wie ich in der Nähe wohnt, ist das Schwimmbad eine echte Alternative. Der neu gestaltete Kleinkinderbereich, die kleine Wasserrutsche und die ausgedehnte Wiese (die leider gerade, wie Alles im Landkreis, eher an eine Steppe erinnert) sind gerade für Familien mit Kindern eine echte Einladung. Auf Beschluss der Gemeinde kann man diese bis zum Ende der Hessischen Schulferien sogar ganz kostenlos annehmen und hat die Gelegenheit, wie es der Bürgermeister ausdrückt, „sich in das Bad zu verlieben“. Mein dritter Besuch war leider nicht geeignet, solche Gefühle bei mir zu wecken, und das lag nicht an dem schön renovierten Gebäude des Bades oder dem Knistern des verbrannten Grases im Außenbereich. Es lag an dem Zugang zum Besucher.

Vorausschicken muss ich, dass das Grundbad sehr merkwürdige Öffnungszeiten hat. Merkwürdig auch deshalb, weil man sie sich kaum merken kann, denn sie sind fast jeden Tag anders: Am Montag schließt das Bad um 19 Uhr, am Dienstag und Mittwoch um 21:00 Uhr, Am Donnerstag dann um 20 Uhr und am Freitag, Samstag und Sonntag zur Abwechslung um 18:30. Die Eingangstür öffnet sich stets um 14:15, außer am Sonntag, wo der Spass schon um 8:00 Uhr beginnt. Diese Merkwürdigkeit ist, laut dem Bürgermeister, dem das Bad persönlich sehr am Herzen liegt, und ohne dessen Einsatz es womöglich gar nicht wieder eröffnet hätte, mit allen Nutzern abgestimmt. Nun denn.

Bevor man losfährt, schaut man daher sicherheitshalber in den Internetauftritt des Grundbades nach den gerade geltenden Öffnungszeiten. So informiert freut man sich dann auf eine angenehme Erfrischung nach einem heißen Tag. Mir ging es jedenfalls am vergangenen Montag so, als ich um 18:10 den Eingangsbereich des Schwimmbades passieren wollte. Doch ich wurde von einer Mitarbeiterin aufgehalten: „Tut mir Leid, sie können nicht mehr reingehen!“ Das Bad schließt, wie gesagt, am Montag um 19 Uhr, so dass ich fragte, weshalb man 50 Minuten vor Schluss denn Niemanden reinlässt. „Weil Sie 20 Minuten vor Betriebsschluss aus dem Wasser sein müssen.“, gab man mir zur Antwort. Dann habe ich ja noch 30 Minuten Zeit, erwiderte ich, doch die Dame am Empfang sah es nicht so. Als ich nachfragte, wo das Problem sei, holte sie die Betriebsleiterin, die mir mit dem gleichen Argument den Zutritt verwehrte, und als ich feststellte, dass das bei meinen letzten beiden Besuchen aber kein Problem war, schnippisch antwortete „Andere Mitarbeiter machen es vielleicht anders, ich mache es so.“ Da wollte ich erst recht den Grund für diese anscheinend willkürliche Regelung wissen, doch ich kriegte nur zu hören „Das brauche ich Ihnen nicht erklären. Sie gehen jetzt einfach nach Hause, und dann wird Alles wieder schön!“ Damit meinte sie wohl ihr Kaffeekränzchen im Büro der Badeaufsicht, bei dem ich sie gestört hatte, aber ganz bestimmt nicht meinen Tag. Ganz offensichtlich war ich der Störfaktor in dieser trauten Idylle, und so ging ich erhitzt und unverrichteter Dinge nach Hause. Der Staub der Servicewüste Deutschland knirschte unterdessen zwischen meinen Zähnen, und das Verhalten der Betriebsleiterin steckte mir quer im Hals.

Muss man sich mit so einem Zugang der von Steuergeldern finanzierten Angestellten abfinden? Wohin führt es, wenn man es tut? Und kann man überhaupt etwas dagegen unternehmen? Man kann, und ich tat es. In einem Brief an den Bürgermeister der Gemeinde machte ich meinem Ärger über die Angestellte Luft und regte gleich an, für die Zeit der Sonderaktion im Grundbad, den freien Eintritt für alle, die Öffnungszeiten auszuweiten. Schließlich entfällt dabei die Kassenzählung, und die dadurch gewonnene Zeit kann man den Besuchern zur Verfügung stellen, welche früher am Tag unter der Woche nicht kommen können. Auch eine generelle Öffnung bis 20 Uhr in den Sommermonaten würde die Auslastung des Bades und der Liegewiese steigern und dem neuen Besucher einen verlässlichen Zeitrahmen geben. Der Bürgermeister reagierte, obwohl im Urlaub, erstaunlich schnell. Noch am selben Abend bekam ich eine Nachricht, die mich wieder besänftigte. Er schrieb:

„Über ihre Verhaltensschilderung meiner Betriebsleiterin bin ich erschüttert. Ich leite die E-Mail an meine Stellvertreterin weiter, die sich zeitnah darum kümmern und mit Frau Xxxx ein ernstes Gespräch führen wird. Flexibilität und Vernunft muss über der Einhaltung von Vorschriften stehen, die eben nicht für diese Freie Eintritt Sonderaktion gedacht waren. Ihre Argumente werde ich für die Zeiten davor und danach einer kritischen Prüfung unterziehen.“

Antwort des Bürgermeisters

Ein Bürgermeister, der Vernunft über Vorschriften stellt? Wo gibt es denn sowas? Bin ich noch in Deutschland? Hat etwa das Urlaubsland dem Bürgermeister einen neuen Problemzugang eröffnet? Nein, weit gefehlt! Der Bürgermeister der Gemeinde Ebsdorfer Grund ist ein alter Hase. Als Hase, gejagt von allerlei missgünstigen politischen Rivalen, wird man nicht alt, wenn man nur nach Schema F vorgeht. 29 Jahre hat der Bürgermeister die Gemeinde geführt, was darauf schließen lässt, dass er in der Lage ist, auch über den Tellerrand zu blicken und Lösungen für seine Bürger zu finden, die nicht im „Handbuch für Deutsche Kommunalpolitiker“ verzeichnet sind. Ich war, ehrlich gesagt, erstaunt, so jemanden in meiner unmittelbaren Nachbarschaft zu haben und froh zu hören, dass es solche Leute in leitenden Positionen überhaupt noch gibt. Die Angelegenheit wäre damit für mich abgeschlossen gewesen. Wenn nicht…

Ja, wenn nicht die Stellvertreterin des Bürgermeisters mir eine weitere Nachricht geschrieben hätte, die nicht Alles wieder zunichte gemacht hätte. Im Gegensatz zu ihrem Chef hielt sie sich strikt an das erwähnte Handbuch, in der Ausgabe für Verwaltungsbeamte. Darin steht wohl an jeder Seite als rote Überschrift: „Was immer das Problem ist, denke stets daran, die Verwaltung ist es nicht!“. Und wenn die Verwaltung keine Schuld trägt, wer bleibt da noch als Schuldiger übrig? Richtig! Der Bürger selbst! Das kam schon in ihrem ersten Satz zum Ausdruck, der da lautete: „Wir bedauern sehr, das Sie unser GrundBad nicht als Erholungsort für Familien bei Ihrem letzten Schwimmbadbesuch wahrgenommen haben.“ Das Problem war also gar nicht das Verhalten der Betriebsleiterin, sondern lag ausschließlich an meiner Wahrnehmung! Im Handbuch gibt diese Antwort wahrscheinlich die volle Punktzahl. Und wo es kein Problem gibt, muss man auch nichts ändern. Wie praktisch! Man muss dem querulanten Bürger lediglich erklären, warum er sich irrt, und ihn darauf hinweisen, welche Opfer seine Angestellten täglich zu bringen haben, von denen er sich keine Vorstellung macht:

„Das „WIR“, nach nunmehr einer anderthalbjährigen Schließungszeit wegen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen, das GrundBad und auch hinsichtlich der chwierigen Kriegssituation in der Ukraine, erhöhten Energiepreisen und der weiterhin bestehenden Corona Pandemie in den Sommerferien kostenlos geöffnet haben, ist nicht selbstverständlich.“

Aus dem Schreiben der stellvertretenden Bürgermeisterin

Der Krieg in der Ukraine ist also Schuld an dem unfreundlichen Ton der Schwimmbadangestellten, die ja schon vollends mit ihrem Kampf gegen die (demnächst) steigenden Energiekosten und der Pandemie ausgelastet ist. Man soll doch dankbar sein, dass das Schwimmbad unter diesen Umständen überhaupt öffnet, und dann auch noch umsonst! Also, bis auf die Steuergelder, die man als Bürger ohnehin zwangsweise spendet, um so ein Bad am Laufen zu halten. Dass die Aktion dazu dient, das sozusagen natürliche Defizit des Schwimmbades durch die Erschließung eines neuen Kundenstammes auf lange Sicht zu verringern, und jede Werbemaßnahme nun mal mit Kosten verbunden ist, hat die Mitarbeiterin des Bürgermeisters nicht im Blick. Der wird vom hohen Tellerrand verstellt sein. Weshalb es nicht nötig ist, weiter zu blicken, erklärt die Mitarbeiterin dann praktischerweise selbst:

„Das GrundBad Team ist eine kleine Familie. Alle Kolleginnen und Kollegen lieben dieses familiäre Ambiente und stehen gerne jederzeit mit Fragen, Kritik und Anregungen zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht nur um eine „Arbeitsstelle“ in irgendeinem Unternehmen.“

Aus dem Schreiben der stellvertretenden Bürgermeisterin

Das Blut der Familie ist eben dicker als Badewasser. Man beschützt sich gegenseitig vor Angriffen von Außen, mögen sie gerechtfertigt sein oder auch nicht. In Bayern nennt man es „Filz“, auf Sizilien gilt dieses Prinzip als omertà, das Schweigen und Mauern nach Außen. Jedes Mitglied der Familie ist dabei eine Wand, die die anderen Mitglieder des Clans schützt. Unwillkürlich muss ich an den Grundbadclan denken und frage mich, ob dieses Einigeln dem erklärten Ziel der Öffnung des Grundbades für einen weiteren Besucherkreis nicht vielleicht ein klein wenig zuwiderläuft.

Ich werde jedenfalls einen weiteren Versuch unternehmen, das Schwimmbad ins Herz zu schließen, denn so leicht lasse ich mich nicht durch unfreundliches Verhalten entmutigen. So wie eine Schwalbe keinen Sommer macht, macht ein Vorfall noch kein unfreundliches Bad. Ich möchte hoffen, dass es bei einem Vorfall bleibt. Und jeder andere kann sich bis zum 4. September ganz unverbindlich und der Inflation zum Trotz seine eigene Meinung durch einen Besuch eines Bades mit großem Potential bilden.

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