Der Krieg in der Ukraine ist zu verurteilen und es muss alles dafür getan werden, dass die Kämpfe schnellstmöglich beendet werden. Daran gibt es keinerlei Zweifel. Um eine diplomatische Lösung der Konflikte zu ermöglichen und die Interessen aller beteiligten Seiten einzubeziehen, müssen aber auch die rechtlichen und geschichtlichen Hintergründe dieses Krieges in den Blick genommen werden. Diese können den Krieg in keiner Weise rechtfertigen, müssen aber mitbedacht werden, wenn wir zu einem nachhaltigen Frieden in Europa kommen wollen. Dazu hier ein Beitrag von Jan Kissik.
Putins Werk und Europas Beitrag
Ein Kommentar von Jan Kissik
Auf Wunsch der Ukrainischen Regierung wurde am 21 März 2014 eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in das umstrittene Gebiet um Luhansk und Donezk entsendet, die zum Ziel hat, die Aktivitäten beider Konfliktparteien objektiv aufzuzeichnen und dadurch Verluste unter der Zivilbevölkerung, welche Kriegsverbrechen darstellen, zu vermeiden. Im Jahr 2020 veröffentlichte die OSZE einen Bericht über zivile Opfer des Konflikts zwischen dem 1. Januar 2017 bis zum 15. September 2020 in den beiden genannten Regionen, die 946 Opfer der Kriegshandlungen aufzeigen, wovon 161 in der Folge gestorben sind. Die weit überwiegende Zahl der Zwischenfälle fand dabei in Gebieten statt, die nicht unter der Kontrolle der Ukrainischen Armee stehen. Dabei wurden mehr Menschen durch Minen und Explosivkörper getötet, als durch Artilleriebeschuss und Beschuss aus leichten Waffen zusammengenommen. Der Bericht legt Wert darauf, festzustellen, dass „auch wenn die Zahl der Waffenstillstandsverletzungen abnimmt, Minen und andere Explosivobjekte immer noch eine ernste Bedrohung für das Leben von Zivilisten darstellen “.
Im Jahr 2020 kamen weitere 129 zivile Opfer dazu (24 starben), 2021 zusätzlich 91 (16 Tote). Angesichts dieser Zahlen ist es schwer zu bestreiten, dass es sich in der östlichen Ukraine seit Jahren um ein Gebiet handelt, in dem Krieg geführt wird. Der Waffenstillstand ist in der Praxis nicht existent. Unter diesen Bedingungen ist eine Lösung am Verhandlungstisch extrem unwahrscheinlich zu erreichen. So lange, wie man aufeinander schießt, kann man miteinander nicht reden – außer, man redet über die Bedingungen einer Kapitulation.
Keine Seite hatte am Reden anscheinend ein gesteigertes Interesse, denn der Einsatz von bewaffneten OSZE-Sicherheitskräften, dem Äquivalent von UNO-“Blauhelmen“, die die Kriegsparteien voneinander getrennt und für einen echten Waffenstillstand gesorgt hätten, wurde von den Akteuren, und auch von Deutschland, letztlich abgelehnt. Die im April 2021 getätigte Äußerung des Ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andriy Melnyk, die Ukraine würde sich angesichts der Russischen Bedrohung atomar bewaffnen, ein Vorhaben, welches die Ukraine aufgrund ihrer immer noch vorhandenen UdSSR-Expertise auf dem Gebiet des Raketen- und Bombenbaus zweifellos in kürzester Zeit in die Tat umsetzen kann, konnte unter diesen Umständen von Russland nicht anders als eine direkte Drohung mit Atomwaffen verstanden werden. Sie wurde am 19. Februar 2022 auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Ukrainischen Präsidenten wiederholt. Spätestens hier hätten alle Europäer aktiv in den Konflikt eingreifen müssen, sei es, dass sie auf der Durchsetzung des Minsker Abkommens bestehen, sei es durch Sicherheitsgarantien gegenüber Russland, unter der Bedingung von entsprechenden Garantien gegenüber der Ukraine von Russischer Seite. Eine atomar bewaffnete Ukraine kann nicht im Interesse der Europäer sein. Man bedenke, dass die Auswirkungen des Atomunfalls von Tschernobyl, das kaum 100 Kilometer nördlich von Kiew liegt, auch heute noch in den Deutschen Wäldern zu einer radioaktiven Belastung des Wilds und der Waldfrüchte führen – ein atomar ausgetragener Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wäre für Europa tausendmal schlimmer.
Hier muss man anmerken, dass es in der Politik mindestens ebenso wichtig ist, was gesagt wird, wie das, was nicht gesagt wird, obwohl es ausgesprochen werden müsste. Erinnern Sie sich an die Rede von Kanzlerin Merkel, in der diese die atomare Bewaffnung der Ukraine entschieden verurteilt hat? Oder die Rede von Präsident Macron, der eine internationale Konferenz auf höchster Ebene in Paris in Aussicht gestellt hat, um dieses Problem aller Europäer gemeinsam anzugehen? Nein? Ich auch nicht. Stattdessen wurden in einer Geheimoperation, die in Büchel stationierten Amerikanischen Atombomben modernisiert und durch lenkbare Wasserstoffbomben ersetzt, die in der Lage sind, auch eine Großstadt von der Größe Frankfurts auszulöschen, nebst neuen ultraschnellen Trägerraketen, die ab 2023 dann ihre Fracht noch schneller ins Ziel bringen können. Sollte das nicht reichen, wird die Bundeswehr mit F-35 Bombern ausgestattet, um die veralteten Tornadobomber zu ersetzen, die Russland wohl kaum als eine ernsthafte Gefährdung ihrer Sicherheit vorkommen dürften. Es ist bereits durchgesickert, dass diese Flugzeuge nun mit dem neuen 100-Milliarden-Budget von Scholz und Lindner angeschafft werden sollen. Sicherheit durch atomare Abschreckung also, wie zu Zeiten des kalten Krieges. Fragt sich nur, Sicherheit für wen?
Macht dies den Einsatz von Atomwaffen in Europa nicht eher wahrscheinlicher, da sich die USA, weit hinter dem Atlantik, keine allzu großen Sorgen über die Explosion von Atomwaffen in Europa machen, ob zu Recht oder zu Unrecht? Reichen Europa die Französischen und Britischen Atomwaffen nicht, wo beide Länder bei ihrem Einsatz mit einer entsprechenden Antwort rechnen müssten, und diesen deshalb unter Umständen zurückhaltender handhaben? Wer bekommt die Antwort zu spüren, wenn Deutsche F-35 Flugzeuge Atombomben auf Russische Städte werfen? Der Eigentümer der Bombe, oder der Staat, welcher den Piloten losgeschickt hat, um sie abzuwerfen?
Die Europäische und Deutsche Antwort auf Atomwaffen mit kurzer und mittlerer Reichweite darf nur in der Forderung nach deren Reduzierung bestehen, und nicht in einem Neustart des atomaren Wettrüstens auf Europäischem Boden! Statt die Dämonisierung Putins zu betreiben ist es angebracht, endlich eine eigenständige Europäische Sicherheitsstrategie zu verhandeln, die den Europäern immer wieder nur versprochen wurde, jedoch nie zu konkreten Schritten geführt hat. Das geht natürlich nur unter Einbeziehung Russlands. Hier kann Deutschland vorangehen, und nicht in der Lieferung von tödlichen Waffen, die auch noch Jahre nach einem Konflikt zivile Opfer fordern werden! Wir sollten etwas weitsichtiger sein und daran denken, dass Russland unser Nachbar bleiben wird, egal, wie sich die Lage in der Ukraine noch entwickelt. Ein Beispiel kann uns Ungarn sein, dessen Außenminister Peter Szijjarto sogar den Transport von Waffen über Ungarisches Gebiet ausgeschlossen hat, und stattdessen bereits 85.000 Flüchtlingen aus der Ukraine vorübergehenden Schutz in Ungarn gewährt hat. Am meisten kann Deutschland zum Frieden beitragen, indem es zu seiner Doktrin der letzten Jahrzehnte, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern sofort zurückkehrt und statt für den Krieg, für den Frieden arbeitet. Die in Deutschland lebenden Ukrainischen und Russischen Einwanderer können dafür ein Zeichen setzen, indem sie, für alle sichtbar, gemeinsam für den Frieden auf die Straße gehen. Denn Krieg nützt weder der Bevölkerung in der Ukraine, noch in Russland, sondern Rüstungsfirmen und anderen Kriegsprofiteuren, denen ein Menschenleben nur so viel wert ist, wie viel es bedarf, es auszulöschen.
Wie kann man russischer Staatspropaganda so sehr auf den Leim gehen? Herr Kissik ist offenbar Teil derjenigen Fraktion der Russlanddeutschen, die ihre Heimat völlig unkritisch glorifizieren.
Mit diesem Beitrag, der Abrüstung von den europäischen Demokratien, nicht aber von Russland, fordert, hat sich Weiterdenken endgültig ins politische Abseits begeben.
Sehr geehrter Herr Wiese, ich habe Ihren Kommentar freigeschaltet, obwohl Sie hier mit Unterstellungen und Spekulationen über den Autor dieses Meinungsbeitrages weit abseits eines fairen und emanzipatorischen Diskurses agieren. In den verlinkten Quellen konnte ich keine „russische Staatspropaganda“ ausmachen – es sei denn, Sie unterstellen, dass Putin die Zeit, ntv, die Berliner Zeitung, die „Linke Zeitung“ oder die OSZE-Website kontrolliert.
Auch Ihre Spekulationen über die Abstammung des Autors sind nicht nur falsch, sondern völlig fehl am Platze. Denken Sie bitte noch mal scharf darüber nach, was es bedeutet, wenn Sie im politischen Diskurs die vermeintliche Abstammung des Gegenübers thematisieren, anstatt Argumente vorzubringen!
Ihre ersten zwei Sätze sind also nichts als ein Argumentum ad hominem.
Allein Ihr dritter Satz hat den Hauch eines Arguments – auch wenn Sie hier mit der Verallgemeinerung einer vielleicht sogar falsch verstandenen Einzelmeinung auf eine ganze Gruppe wieder einen gravierenden logischen Fehler machen. Dem ehemaligen Germanistik-Professor Dr. Richard Wiese wäre das hoffentlich nicht passiert (oder sind Sie das selbst? – Das wäre schockierend).
Wenn der Artikel von Ihnen so verstanden worden ist, dass der Autor NUR von den „europäischen Demokratien“, nicht aber von Russland Abrüstung fordert, so ist zumindest dieser Hinweis ein konstruktives Feedback. Selbstverständlich muss Abrüstung auf ALLEN Seiten erfolgen – in Russland, in den USA und in den „europäischen Demokratien“. Wobei wir hier in Deutschland allerdings auf USA und Russland noch viel weniger Einfluss haben als auf die Politik in unseren „europäischen Demokratien“.
Herr Wiese, nach Ihrer Meinung bewege ich mich mit diesem Artikel im Abseits. Ist es Ihnen aufgefallen, dass seit einiger Zeit Jeder, der eine eigenständige Meinung vertritt oder auch nur das offizielle Narrativ hinterfragt, sich im politischen Abseits bewegt? Haben Sie sich mal Gedanken darüber gemacht, woher das kommt? Es gibt dafür scheinbar mehrere Erklärungen. Wenn wir den Massenmedien und den Politikern glauben sollen, liegt es daran, dass immer mehr Menschen, die bislang der Mitte der Gesellschaft angehört haben, in einem atemberaubenden Tempo aus dieser Mitte an die Ränder geraten sind, und zwar nicht nur, was ihre Lebenssituation, sondern vor Allem, was ihre Meinung zu öffentlichen Themen angeht. Eine befriedigende Erklärung für diesen Vorgang bleibt man uns jedoch schuldig. Waren am Ende ein Viertel der Deutschen tatsächlich schon immer versteckt rechtsradikale Schwurbler? Verschwörungstheoretiker? Putin-Versteher? Und wenn ja: wen haben die eigentlich bisher gewählt?
Oder ist etwas mit der Mitte des Meinungsspektrums geschehen, dass selbst denkende Menschen aus dieser herausgeschleudert hat? Hat sich gar diese Mitte an einen gefährlichen Rand bewegt, während die Bürger ihre Positionen nicht wesentlich verändert haben? Sie kennen das sicher auch: Wenn man in einem Zug am Bahnhof auf dessen Abfahrt wartet, und sich der Zug auf dem Nachbargleis in Bewegung setzt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, man selbst würde sich bewegen. Der Eindruck ist manchmal so stark, dass man die Bewegung meint körperlich zu spüren. Man braucht dann einen festen Punkt, auf den man schauen kann, um wieder in die Realität zurückzufinden.
Ich habe in meinem Artikel einige dieser festen Punkte angeführt, nämlich Quellen, deren Glaubwürdigkeit m.E. außer Zweifel steht, wie die Berliner Zeitung, die OSZE oder „die Zeit“. Wenn Sie dennoch meinen, ich wäre derjenige, der sich im Abseits bewegen würde, sollten Sie vielleicht die Linien ihres Spielfelds kontrollieren. Womöglich ist es so klein geworden, dass es nur wenige zulässige Positionen gibt, auf denen man nicht im Abseits steht. Womöglich ist es auf einen Punkt zusammengeschrumpft: Den Punkt der einzig zulässigen Meinung. So etwas nennt man Meinungsdiktatur. Ich bin stolz darauf, dass Weiterdenken Marburg die Einengung des Spielfelds nicht toleriert und hier im angeblichen Abseits steht. In Wahrheit stehen wir damit fest auf dem Boden der freiheitlichen Demokratie und erhalten einen Diskussionsraum, der Voraussetzung dafür ist, dass sich unser Staat demokratisch nennen darf.
Wenn Sie einen anderen Staat anstreben, in dem der Diskussionsraum eindimensional ist, sollten Sie sich überlegen, ob Sie in Putins Russland nicht besser aufgehoben wären. Doch womöglich stünde ihnen eine Überraschung bevor, denn die Russen haben es in Jahrzehnten des Sowjet-Kommunismus gelernt, sich eine Meinungsvielfalt außerhalb der Medien zu erhalten, die sogar Putin hinnehmen muss. Friedensdemonstrationen in Moskau und anderen Russischen Städten mit tausenden Verhafteten müssten auch Ihnen aufgefallen sein. Der Staat, der ihnen gefallen könnte, wäre dann wohl Nordkorea. Sie können sich gerne auf den Weg dorthin machen, aber dann bitte ohne mich und ohne WDMR.
Frieden!
In dem Beitrag wird der brutale, diktatorische Täter Vladimir Putin zum Opfer gemacht, gleich zweimal: „Putins Werk und Europas Beitrag“ ist offenkundig parallel zu dem Romantitel „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ von John Irving. Putin = Gott, Europa = Teufel? Und später wird Putin nur mit „Dämonisierung Putins“ bejammert. Ansonsten kommt er nicht vor, dabei ist der Krieg mit Tausenden von Opfern eindeutig sein Werk. Seit dem 2. Weltkrieg gab es vielleicht keinen Krieg, in dem die Situation so eindeutig war.
Herr Kissik, ich bin sehr dafür, dass Sie Ihre Meinung äußern können, denn so entlarven Sie sich am einfachsten! Die „Geheimoperation“ der Nato in ihrem Text ist offensichtlich keine, denn mindestens Zeit und Spiegel haben ja darüber berichtet.
Da der Beitrag von Herrn Kissik der einzige Text zum Krieg in der Ukraine ist, gestatte ich mir in der Tat die Verallgemeinerung auf die Gruppe der „Weiterdenker“. Den russlanddeutschen Hinweis nehme ich zurück, da habe ich mich wegen der vielen russischen Städte auf -burg geirrt.
Schließlich noch ein Hinweis auf einen Artikel zum ähnlichen Thema: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/warum-russische-propaganda-bei-deutschen-corona-leugnern-ankommt-17854543.html
Sie brauchen mir jetzt nicht zu versichern, dass Sie nur die Freiheit wünschen und keine Corona-Leugner sind!
„Da der Beitrag von Herrn Kissik der einzige Text zum Krieg in der Ukraine ist“
Schon wieder falsch.
https://weiterdenken-marburg.de/2022/03/04/nein-zum-krieg-ja-zur-diplomatie/
„gestatte ich mir in der Tat die Verallgemeinerung“
Es sei Ihnen gestattet, sich hier hier selbst zu entlarven. Für einen ehemaligen Universitätsprofessor oder seinen Namensvetter sind Sie ganz schön oberflächlich. Mit diesem Niveau könnten Sie glatt bei der Oberhessischen Presse anfangen.