Trotz Impf-Apartheid: Versammlungsfreiheit gilt (noch)

Trotz der neuen Einschränkungen durch den „Lockdown für Ungeimpfte“ in der hessischen Corona-Verordnung sind Treffen in der Öffentlichkeit weiterhin möglich: als politische Versammlung.

Impf-Apartheid: nur 2 ungeimpfte Haushalte dürfen sich treffen

Seit 05.12.2021 gilt in Hessen die Impf-Apartheid im öffentlichen Raum. Nach § 1 (2) der neuen hessischen Corona-Verordnung dürfen sich „nicht-immunisierte Personen“ im öffentlichen Raum „nur im Kreis der Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes“ aufhalten.

Versammlungsfreiheit (noch) nicht (komplett) abgeschafft

Dennoch können sich weiterhin mehr als zwei Personen gemeinsam im öffentlichen Raum aufhalten. Nämlich dann, wenn sie eine politische Versammlung durchführen. Diese sind weiterhin (noch) nach Artikel 8 des Grundgesetzes geschützt. Dieser Abschnitt der Verfassung ist bisher nur punktuell außer Kraft gesetzt worden – u.a. beim Pauschal-Verbot der Demonstrationen gegen die Corona-Politik im August in Berlin. Komplett möchte man wohl die Versammlungsfreiheit noch nicht als abgeschafft deklarieren, da das dann dem einen oder anderen (Ex) Verfassungsrichter vielleicht doch noch Bauchschmerzen bereiten würde.

Impf-Apartheid gilt nicht für politische Versammlungen

Daher sagt auch die hessische Landesregierung in ihren Ausführungshinweisen ganz deutlich, dass (wie schon bei allen vergangenen Corona-Verordnungen) die neuen Regeln der Segregation einer Bevölkerungsgruppe nicht für politische Versammlungen nach Artikel 8 Grundgesetz gelten.

Die Verordnung enthält keine versammlungsspezifischen Regelungen. Die Regeln über
Veranstaltungen sind daher nicht auf Versammlungen im Sinne des Artikel 8 des Grundgesetzes (z.B. Demonstrationen, politische Versammlungen oder Parteitage) anzuwenden. Für sie gelten die allgemeinen Regeln des Versammlungsgesetzes. Zum Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen Infektionsschutz, welcher sich aus dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 GG herleitet, und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG, bewerten die Versammlungsbehörden jeden Einzelfall. Im Rahmen einer verhältnismäßigen Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz wird sodann ein sachgerechter Ausgleich zwischen den beiden Verfassungsgütern herbeigeführt.

Ausführungshinweise zur hessischen Corona-Verordnung

Eilversammlung

Nach § 14 Versammlungsgesetz müssen Versammlungen 48 Stunden vorher bei der zuständigen Behörde angemeldet werden. Näheres dazu hier. Wenn allerdings der Anlass der Versammlung kurzfristig ist, z.B. ein Politiker erhebt eine unerhörte Forderung oder eine Regierung beschließt etwas, womit man überhaupt nicht einverstanden ist, dann kann man auch mit kürzerer Anmeldungsfrist eine Versammlung anmelden. Das im Sinne der Versammlungsfreiheit auch erforderlich, da es ansonsten nicht möglich wäre, kurzfristig mit Versammlungen auf politische Geschehnisse zu reagieren (siehe Brockdorf-Beschluss). Dies ist dann eine „Eilversammlung“. Eine Eilversammlung ist angemeldet (mit kürzerer Frist) und hat einen Versammlungsleiter.

Spontanversammlung

Wenn mehrere Menschen, die sich zufällig in Räumlicher Nähe befinden und ein Ereignis beobachten, was sie alle empört, so kann sich daraus auch eine Spontanversammlung entwickeln. Diese hat weder Anmelder noch Versammlungsleiter, da sie nicht zuvor geplant war und niemand dazu aufgerufen hat. Auch diese Abweichung von der Anmeldepflicht ist zulässig, da das Versammlungsgesetz im Sinne des hohen Rechtsgutes der Versammlungsfreiheit im Grundgesetz ausgelegt werden muss.

Marburger Spontanversammlung

Recht ist allerdings keine Naturwissenschaft, sondern kann sehr flexibel ausgelegt (und gebeugt) werden. Wie die Marburger Behörden das Versammlungsrecht interpretieren, war am 04.12.2021 wieder zu beobachten. „Anti“-Faschisten hatten in einer öffentlichen Telegram-Gruppe zu einer (Gegen)-Demo aufgerufen. Diese wurde beim Ordnungsamt nicht angemeldet. In Form einer unamgemeldeten Fahrrad-Versammlung blockierten die Gegendemonstranten mehrfach Straßen. Die Polizei hat die Gruppe jedoch nicht als Versammlung behandelt und anscheinend auch keine Auflagen erteilt. Personalien wurden nicht aufgenommen, obwohl möglicherweise Straftaten nach § 21 (gröbliche Störung einer angemeldeten Versammlung) oder § 26 Nr. 2 (Durchführung einer nicht-angemeldeten Versammlung) begangen wurden.

Auf diese großzügige Interpretation des Versammlungsrechts sollte sich jeder berufen können, falls Ordnungsamt und Polizei sich nicht vorwerfen lassen möchten, hier mit zweierlei Maß zu messen.

Fazit

Praktisch heißt das: wenn ihr mit mehreren Leuten draußen rumsteht, euch unterhaltet oder herumlauft „zum Zweck der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“ (BVerfG NJW 2001, 2459 – „Love-Parade“), dann seid ihr eine politische Versammlung!

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