Das Verwaltungsgericht Gießen hat in seinem Urteil am 19.05.2022 beschlossen, dass der Kreistagsvorsitzende eine Filmberichterstattung über die Kreistagssitzung nicht verbieten darf. Eigentlich ist die Regelung in §4a der Hauptsatzung klar: Film- und Tonaufnahmen durch die Medien mit dem Ziel der Veröffentlichung im Internet sind zulässig. Sie müssen nur zuvor dem Kreistagsvorsitzenden mitgeteilt („angezeigt“) werden. Darauf hatten sich der Abgeordnete Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) sowie andere Medienvertreter in den vergangenen Sitzungen berufen. Der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert (SPD) hatte jedoch jedes Mal die Film- und Tonaufnahmen untersagt. Sein Argument: Wer nur im Internet publiziert, falle nicht unter den Begriff „die Medien“. Außerdem dachte Ruffert, eine „Doppelfunktion“ sei nicht erlaubt: Er meint, Filmaufnahmen seien nicht zulässig, wenn sie in einem von einem Kreistagsabgeordneten betriebenen YouTube-Kanal veröffentlicht werden. Das Verwaltungsgericht Gießen hat diese Sicht klar zurückgewiesen. Damit hat es die bisherige Praxis des Kreistages und seines Vorsitzenden als rechtswidrig entlarvt und zugleich die Rechtsauffassung von Weiterdenken-Marburg bestätigt.
Für die morgige Sitzung des Kreistages bedeutet das Urteil, dass Film- und Tonaufnahmen von der Sitzung gemacht und diese veröffentlicht werden dürfen.
Geplante Satzungsänderung soll Filmaufnahmen künftig wieder verbieten
Allerdings wollen der Kreistagsvorsitzende und einige Fraktionen des Kreistages es für die Zukunft wieder verhindern, dass ihre Äußerungen auch für die Wählerinnen und Wähler öffentlich sichtbar werden, die nicht am Freitagvormittag nach Stadtallendorf fahren können. Dazu hat Detlef Ruffert einen Antrag zur Änderung der Satzung eingebracht. Er schlägt vor, den bisherigen §4a Abs. 1 zu streichen. Nach seinen Wünschen sollen Filmaufnahmen nur noch durch die Verwaltung, nicht aber durch die Medien zulässig sein.
Kundgebung für Pressefreiheit: 20.05.2022, ab 10:30, vor der Stadthalle
Dagegen regt sich Protest. Die Kreistagssitzung findet am 20.05.2022 ab 11 Uhr in der Stadthalle in Stadtallendorf statt. Ab 10:30 ist eine Kundgebung vor der Stadthalle angemeldet. Das Motto lautet:„Für Pressefreiheit, freie Impfentscheidung und fairen öffentlichen Diskurs“.
Quellen:
[1] Beschluss des VG Gießen vom 19.05.2022, AZ 8L 1040/22.GI
Nach genauerem Durchlesen der Klageschrift stellt man fest, dass darin eindeutig zum Ausdruck kommt, und zwar durch den Antragsgegner zu 2), dass das Filmverbot auf einem Beschluss des Antragsgegners zu 1) beruht. Dies geschah allerdings jeweils nur für die aktuelle Sitzung des Kreistages, und nicht generell für alle Sitzungen. Zum Filmverbot am 20.5.2022 hat sich der Kreistag tatsächlich noch gar nicht geäußert, und selbst wenn, so läge das Hausrecht dennoch beim Antragsgegner zu 2), weshalb man vom Gericht auch nicht verlangen kann, gegen irgendwelche nicht verpflichtenden Äußerungen des Kreistages vorzugehen. Kein Beschluss des Kreistages entbindet den Kreistagsvorsitzenden von seiner persönlichen Verantwortung für das Hausrecht. Er ist insofern nur dem Gesetz unterstellt, welches kein Beschluss der Kreistagsabgeordneten ändern kann.
Was das Gericht beantwortet, ist die Frage, ob der Kreistag generell das Filmen und Tonaufnahmen im Kreistag untersagen kann: Er kann.
Das Gericht unterscheidet hier zwischen der Saalöffentlichkeit, die zweifelsfrei bei öffentlichen Sitzungen gegeben sein muss, und der \“Medienöffentlichkeit\“, die der Kreistag ausschließen darf, wenn er dies nicht nur im Einzelfall, sondern generell macht. Zwar spricht der Richter von der steigenden Bedeutung von Internetübertragungen, kommt aber letztlich zum Schluss, dass die HGO den Kreisparlamenten gestattet, diese nach eigener Entscheidung zu verbieten. Ob die HGO das angesichts des Art. 5 GG überhaupt darf, steht auf einem anderen Blatt und wird wohl Gegenstand eines anderen Verfahrens sein. Warum sich Vertreter der Bürger vor eben diesen Bürgern verstecken wollen, auch. Die Feststellung, wer Medienvertreter ist und wer nicht, trifft dabei nicht der Kreistag oder der Kreistagsvorsitzende – sie ergibt sich aus dem Grundgesetz. Es ist jeder, der irgendwie medial tätig ist, insbesondere auch Menschen, welche ihre Öffentlichkeit durch das Internet erreichen statt durch klassisches Papier, Fernsehen oder Radio. Insofern ist das Gericht der Argumentation des Antragstellers bezüglich des Schriftleitergesetzes gefolgt und hat die Kreistagsabgeordneten und den Vorsitzenden ein wenig ob ihres Verständnisses der Demokratie gerüffelt.
Der Sieg für die Pressefreiheit dürfte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Sobald der Kreistag das Filmen der Sitzungen generell untersagt, gilt das aufgrund des lästigen Gleichbehandlungsgrundsatzes des lästigen Grundgesetzes für sämtliche Pressevertreter, unabhängig von irgendwelchen \“Presseausweisen\“. Es ist zu erwarten, dass dies direkt als Erstes bei der Sitzung am 20.05 geschehen wird, und zwar durch einen Änderungsantrag zu den bisher eingereichten Anträgen. Dies wird dann die letzte Szene sein, in der sich Wähler durch eine Filmaufnahme davon überzeugen können, wie ihre Abgeordneten mit dem ihnen anvertrauten Mandat umgehen. Danach müssten sie schon persönlich vorbeikommen, um dies zu erleben, denn der gemeine Kreistagsabgeordnete in Marburg-Biedenkopf ist ein kamerascheues Reh, welches lieber im Verborgenen, unbeobachtet vom Bürger, durch das Dickicht der Gesetze trippelt und nur zu Wahlkampfzeiten einen der Seinigen auswählt, den das Licht der Öffentlichkeit kurz sehen darf. Es bleibt zu hoffen, dass der Saal groß genug für den zu erwartenden Menschenandrang sein wird.
Ironie OFF.
OP vom 20.5.: „Das Verwaltungsgericht in Gießen hat am frühen Donnerstagabend entschieden, dass Ton- und Filmaufnahmen von Sitzungen des Kreistags auch künftig genehmigt werden müssen. “
Eigentlich stimmt eher das Gegenteil: Ton- und Filmaufnahmen von Sitzungen des Kreistags müssen nicht genehmigt werden – sie sind vielmehr genehmigungsfrei, und zwar dank der zur Zeit geltenden Satzung des Kreistages. Auch ist keineswegs offen, wie die Auseinandersetzung weitergeführt werden soll, und das kann eigentlich jeder durch einen Blick ins Ratsinformationssystem herausfinden. Sogar Journalisten der OP könnten das. Denn heute, am 20.5., soll nach dem Willen von Detlef Ruffert der Kreistag eine Satzungsänderung beschließen, welche das Filmen im Kreistag für Alle Zeit nur noch der Kreisverwaltung selbst erlaubt und allen Pressevertretern verbietet.
Ist das nur journalistische Inkompetenz, oder absichtliche Falschmeldung? Lernt die OP denn gar nicht dazu?