(Ortwin Schäfer, Marburger Bündnis „Nein zum Krieg!“ am 21.04.2025)
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Im Namen des Marburger Bündnisses „Nein zum Krieg!“ heiße ich Euch herzlich zum diesjährigen Osterspaziergang willkommen. Mein Name ist Ortwin Schäfer.
Wir erleben zurzeit ein kaum für möglich gehaltenes Ausmaß an Aufrüstung und Militarisierung. Der deutsche Staat rüstet sich zu einer gewaltigen Kriegsmaschinerie auf. Aber nicht nur das, auch die Zivilgesellschaft von Jung bis Alt soll „kriegstüchtig“ gemacht werden.
Die Erinnerung daran, dass deutsche Aufrüstung und Militarisierung in der Vergangenheit zu zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten geführt hat, dass deutsche Waffenkonzerne und Banken tief in den faschistischen Staat Hitlers verstrickt waren, ist für Zwecke der Kriegsertüchtigung aus Sicht der Herrschenden allerdings mehr als lästig, und es gilt daher, diese zu entsorgen.
Anlässlich des heutigen Osterspazierganges möchte ich am Beispiel des größten deutschen
Waffenkonzerns Rheinmetall zeigen:
wie erstens die tiefe historische Verstrickung des Unternehmens in den faschistischen deutschen Staat aktuell systematisch ausgeblendet wird, um durch „Whitewashing“ für größere gesellschaftliche Akzeptanz des Waffenkonzerns zu sorgen.
Zweitens versuche ich zu verdeutlichen, wie der militärische-industrielle Komplex, d. h. die enge Vernetzung des deutschen Staates mit der Rüstungsindustrie und dem Finanzkapital, nach seiner Zerschlagung 1945 sich erneut etablierte und heute seine volle gefährliche Macht entfaltet.
1. Rheinmetall, Unterlüß 2024 – „Ein Dorf ohne Acker und Vieh“
Montag, der 12. Februar 2024, also heute vor fast genau einem Jahr, ist ein großer Moment in der Firmengeschichte der Fa. Rheinmetall. Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius sind gekommen, um in einem feierlichen Akt den Spatenstich des neuen Zweigwerkes in Unterlüß zu vollziehen. Genau an dem Ort, an welchem die Geschichte der Waffenschmiede vor 125 Jahren im Jahr 1899 begann.
200.000 Artilleriegeschosse pro Jahr, dazu Komponenten und Sprengstoff für Raketenartillerie sollen
hier zukünftig produziert werden.
Scholz zeigt sich in seiner Dankesrede beeindruckt. Stolz könnten die Mitarbeiter in Anbetracht dieses Vorhabens auf sich sein, arbeiteten sie doch für das Wohl des Landes, wofür Scholz sich ausdrücklich bedankt. Einen Seitenhieb auf die CDU kann sich Scholz nicht verkneifen. Behauptete doch ein CDU-Parteiblatt 1959, dass Unterlüß „ein Dorf ohne Acker und Vieh“ sei – zuerst eine Eisenbahnersiedlung, dann Industriestandort.
Wie so oft ist auch in der Rede von Scholz das eigentlich Bemerkenswerte, worüber nicht gesprochen, sondern was geflissentlich übergangen wird. In diesem Fall die Firmengeschichte zwischen 1899 und 1959.

2. Rheinmetall, Unterlüß 1944- „geldwerte Überlassung“
Ende August 1944, achtzig Jahre vor dem feierlichen Akt, wurden hier in Unterlüß zwischen 400 und 800 jüdische Frauen und Mädchen aus Auschwitz in das Lager „Tannenberg“ des 30 km entfernten KZ Bergen-Belsen interniert. Die Frauen wurden u. a. zur Arbeit in der Munitionsfabrik Rheinmetall-Borsig gezwungen. Sie lebten abgeschottet und isoliert und litten unter mangelhafter Ernährung. Es gab in der Munitionsfabrik keine Schutzvorrichtungen, so dass die Frauen giftige Chemikalien einatmeten, sich so vergifteten und durch Verätzungen schwere gesundheitliche Schäden erlitten.
Ein weiteres dunkles Kapitel begann am 25.August 1944. Der Landrat des Landkreises Celle traf mit der Rheinmetall-Borsig AG eine Vereinbarung. Der Konzern verpflichtete sich, bis zu sechzig stillende „Ostarbeiterinnen“ in einer Baracke aufzunehmen. Hauptzweck dieses Barackenspeziallagers war die möglichst umgehende Rückführung der Mütter nach der Niederkunft in den Zwangsarbeiter-Produktionsprozess. Es war nicht erwünscht, dass die Kinder überlebten. Ein Großteil von ihnen wurde gezielt durch Vernachlässigung getötet.
Von 131 in Unterlüß geborenen und registrierten Kindern verstarben nach den bisher bekannten Unterlagen mindestens 62 Säuglinge.
3. Rheinmetall und die Dresdner Bank im „Heinrich Himmler Freundeskreis“
Zu den Vorgängern des heutigen Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, Armin Papperger, zählte u.a. Waldemar Pabst (1880-1970). Pabst gilt als „Schlüsselfigur der deutschen Konterrevolution“ (Gietinger) und war zuvor als leitender Offizier der Garde-Kavallerie-Schützendivision (GKS) gemeinsam mit Gustav Noske (SPD) hauptverantwortlich für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919.
Pabst wurde 1932 „Direktor zur besonderen Verwendung der Generaldirektion“ von Rheinmetall. Der Konzern gründete zu dieser Zeit Scheinfirmen in der Schweiz, um die Bestimmungen des Versailler Vertrages zur Demilitarisierung des deutschen Reiches zu unterlaufen, und um so die Wiederaufrüstung voran zu treiben.

Einzug der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin am 10.12.1918
Quelle: Waldemar Pabst O-Ton exklusiv: Einzug der Garde-Kavallerie-Schützen_Division in Berlin am 10.12.1918. https://www.youtube.com/watch?v=vQ8KqObxwac
Durch den Aufkauf von Borsig-Berlin 1933 hatte sich Rheinmetall zur größten Waffenschmiede Deutschlands entwickelt. 1936 fusionierten beide Konzerne zur Rheinmetall-Borsig AG. 1938 übernahmen die „Reichswerke Hermann Göring“ die Aktienmehrheit von Rheinmetall-Borsig, und Rheinmetall war nun ein reiner Staatsbetrieb (1). Kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges hatte Rheinmetall-Borsig, was die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Angestellten betrifft, die Fa. Krupp überholt.
Ab 1936 war Helmut Rönnert Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall. Rönnert wurde ab 1932 Mitglied der NSDAP. Er war befreundet mit dem Juristen Karl Rasche (1892-1951), der in zahlreichen Vorstands- und Aufsichtsratsposten deutscher Unternehmen tätig war. Rasche trat ebenfalls ab 1932 in die NSDAP ein. Ab August 1935 war Rasche im Vorstand der Dresdner Bank und ab 1938 SS-Mitglied (2). Ab 1940 saß Rasche zudem bei Rheinmetall-Borsig im Aufsichtsrat. So entstand zwischen Rheinmetall-Borsig und der Dresdner Bank ein enges Netzwerk. Rönnert und Rasche waren dabei im „Freundeskreis Heinrich Himmler“, was ihnen bis in die Staats- und Parteispitze der Faschisten hervorragende Kontakte ermöglichte.
Die Dresdner Bank entwickelte sich zur Hausbank der NSDAP und der Hitler-Diktatur. Es kursierte der Spruch
„Wer marschiert hinter dem ersten Tank? Das ist Dr. Rasche von der Dresdner Bank!“.
Rheinmetall nutzte die engen Kontakte zu Himmler und der SS auch, um aus den besetzten Gebieten zur „geldwerten Überlassung“ mit billigen Arbeitskräften, also Zwangsarbeitern, versorgt zu werden, wie z. B. in den Lagern rund um Unterlüß des KZ Bergen-Belsen.

4. Rheinmetall, der deutsche Staat und das Finanzkapital – Zerschlagung und Restauration nach 1945
Rönnert erschoss sich am 5.6.1945 nach der Niederlage der NS-Diktatur.
Rasche war zunächst im deutsch-französischen Grenzgebiet mit wirtschaftlichen Gutachten beschäftigt, bevor er 1949 verhaftet und im Nürnberger Prozess angeklagt wurde. Verurteilt zu 7 Jahren Gefängnis, wurde Rasche vorzeitig entlassen. Sein Antrag auf Wiedereinstellung bei der Dresdner Bank wurde zwar ablehnt. Er erhielt aber eine Abfindung und als Unternehmensberater war er weiterhin für die Dresdner Bank tätig.
Die Dresdner Bank wurde nach dem Krieg in zahlreiche Einzelbanken zerschlagen. Drei ihrer Nachfolgebanken fusionierten 1957 zur Dresdner Bank AG, deren Slogan lautete:
„Mit dem grünen Band der Sympathie“.
Rheinmetall nutzte die engen Kontakte zu Himmler und der SS auch, um aus den besetzten Gebieten zur „geldwerten Überlassung“ mit billigen Arbeitskräften, also Zwangsarbeitern, versorgt zu werden, wie z. B. in den Lagern rund um Unterlüß des KZ Bergen-Belsen.
2001 kaufte der Versicherungskonzern Allianz AG (3) die Dresdner Bank AG. In der Weltfinanzkrise 2007/2008 geriet die Dresdner Bank (4) in eine schwere Krise. 2009 wurde sie aufgelöst und übernommen durch die Commerzbank. Die geriet ebenfalls infolge der Finanzkrise in schwere Schieflage und konnte nur durch massive staatlich-finanzielle Bezuschussung gerettet werden. Hauptanteilseigner der Commerzbank aktuell ist noch der deutsche Staat (5).
Gegenwärtig findet ein Machtkampf über die nationale Kontrolle der Bank zwischen der italienischen Großbank Unicredit auf der einen und der Commerzbank und dem deutschen Staat auf der anderen Seite statt.
Unicredit will gegen deren Widerstand ihren Aktienanteil von 9,5% auf 30% erhöhen. Unicredit hätte dann einen höheren Anteil als der deutsche Staat.
Das weltweit größte Kapitalverwaltungsunternehmen BlackRock mit Sitz in den USA ist viertgrößter Anteilseigner der Commerzbank (6). BlackRock ist außerdem (7) zweitgrößter Anteilseigner bei Rheinmetall.
Der zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bildet die personifizierte Symbiose des neu etablierten deutschen militärisch-industriellen Komplexes. Merz war bis 2009 u. a. für die Commerzbank und von 2016 bis 2020 für BlackRock Deutschland als Vorstandsvorsitzender aktiv.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
diesen Kräften gilt es, entschlossen Widerstand zu leisten und Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie zu streuen.
Unser Motto lautet
„Nie wieder Faschismus!“
aber auch
„Nie wieder Krieg!“
Anmerkungen:
(1) Aktienanteil des deutschen Staates 90%, Gietinger
(2) In der SS machte Rasche eine Karriere bis zum Rang eines Obersturmbannführers.
(3) für 31 Mrd.€
(4) mit einem Verlust von 6,3, Mrd €
(5) mit 12,1% (Stand vom 11.9.2024)
(6) mit rund 6,5% (Stand 26.3.25)
(7) mit 5,5% (Stand vom 6.2.2025)
Literatur/Quellenangaben:
– Zur Scholz-Rede: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzler-scholz-
anlaesslich-seines-besuchs-bei-rheinmetall-am-12-februar-2024-2259372 , abgerufen am 03.04.2025
– Zu Karl Rasche: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Rasche , abgerufen am 02.04.2025
– Aktienanteile Commerzbank: https://investor-relations.commerzbank.com/de/aktionaersstruktur/,
abgerufen am 02.04.2025
– Aktienanteile Rheinmetall: https://www.nachdenkseiten.de/?p=130281 , abgerufen am 22.04.2025
– Übernahme Unicredit: https://www.die-privatbank.de/artikel/unicredit-darf-beteiligung-an-
commerzbank-aufstocken , abgerufen am 16.04.2025
– Fred Schumacher: Waffen für die Welt. Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg. 2024.
– Rheinmetall entwaffnen – RheinMain: Zwangsarbeit bei Rheinmetall. Z.B. KZ Tannenberg, Unterlüß.
– Versuch einer Annäherung und Erinnerung. Heft zur Ausstellung. 2. Unveränderte Auflage 2025.
– Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere. 2009.
Bild-Quellen:
Titelbild: Auftakt-Kundgebung des Osterspaziergangs Marburg am 21.04.2025, Foto: Michael Thiel, Marburg
Übrige Bilder: Siehe jeweilige Bildbeschriftung (verantwortlich: Michael Thiel)