Verschwörungstheorie-Experte Prof. Butter analysierte den „Geheimplan“-Artikel von Correctiv
In diesem Artikel kommentiere ich einen Vortrag des Verschwörungstheorie-“Experten“ Prof. Michael Butter in Marburg, den er am 25.06.2025 bei einer Tagung in Marburg hielt.
Der Artikel gliedert sich in drei Teile, die auch unabhängig voneinander gelesen werden können:
- Was sind „Verschwörungstheorien“?
Im ersten Teil widmen wir uns dem Begriff selbst, seinen schwammigen Definitionen, der psychologischen Wirkungsweise und seinen historischen Hintergründen. - Visuelle Darstellung von Verschwörungstheorien
Im zweiten Teil geht es um Darstellung von Verschwörungstheorien in Bildern, Diagrammen und Karten. - Nutzte Correctiv die Stilmittel von Verschwörungstheoretikern?
Im dritten Teil geht es um den Correctiv-Artikel über einen angeblichen „Geheimplan“. Für die Zuschauer überraschend zeigte Butter an diesem Beispiel auf, wie Correctiv mit Hilfe der Stilmittel von Verschwörungstheorien Millionen von Menschen in Panik versetzen konnte.
1. Was sind „Verschwörungstheorien“?
Aber was genau sind „Verschwörungstheorien“ eigentlich, und warum ist das Thema in den letzten Jahren immer präsenter geworden? Die Verwendung des Begriffs „Verschwörungstheorien“ hat im politischen Diskurs seit den 1960er Jahren Konjunktur.
Aus einem CIA-Dokument vom 24.01.1967 mit dem Titel „Countering Criticism of the Warren Report“ erfahren wir auch einen möglichen Grund. In der Öffentlichkeit kamen immer mehr Zweifel am Bericht der „Warren Commision“ auf.
In dieser wurde die Hypothese vertreten, dass es beim Attentat auf den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy („JFK“) nur einen einzigen Schützen gegeben habe – die sogenannte „Einzeltäter-Hypothese“.
Die Glaubwürdigkeit anderer Theorien, also „Verschwörungstheorien“, die von einer geheimen Zusammenarbeit („Verschwörung“, engl. „conspiracy“) mehrerer Attentäter sowie einer möglichen Beteiligung des CIA ausgingen, sollte zerstreut werden:
„The aim of this dispatch is to provide material for countering and discrediting the claims of the conspiracy theorists, so as to inhibit the circulation of such claims in other countries.“
CIA-DISPATCH vom 04.01.1967
Alles in einen Topf werfen:
Diskreditierung durch perfide „Verklammerungslogik“
Ein Mittel der Diskreditierung abweichender Meinungen ist, diese mit Nonsense-Theorien oder auch gefährlich-bösartigen Theorien in einen Topf zu werfen. Torsten Miertsch und Markus Fiedler erörterten diese „perfide Verklammerungslogik“ (nach Mausfeld) in einer Episode von „Wikihausen im Interview“ vom 09.06.2020 (ab Minute 4:10).
Ein Beispiel für eine Nonsense-Theorie ist, dass manche Menschen angeblich glauben, die Welt würde von außerirdischen Reptilien regiert. Ein Beispiel für eine gefährlich-bösartige Theorie sind die „Protokolle der Weisen von Zion“, die in fast jeder Erörterung über Verschwörungstheorien erwähnt werden. Durch die Verwendung des gleichen Begriffs „Verschwörungstheorie“ für die Nonsense-Theorien, die gefährlich-bösartigen Theorien und die jeweils zu diskreditierende Theorie werden die „Verschwörungstheoretiker“ als dumme Vollidioten abgestempelt oder als abgrundtief bösartige Nazis gebrandmarkt.
Butter über Soros, Illuminaten und Reptilien
Genau so machte das auch Michael Butter in einem Aufsatz aus dem Jahr 2017, wo er Kritik an der Rolle von George Soros im Ukraine-Konflikt in einem Atemzug mit „Illuminaten“ und der Reptilien-Verschwörung nennt.
Außerdem, so argumentierte Butter damals, seien zumindest größere Verschwörungen gar nicht erfolgreich möglich:
„Eine kleine Gruppe kann sich durchaus verschwören, um ein klar definiertes Ziel zu erreichen, doch wenn eine größere Gruppe ein ambitionierteres Ziel verfolgte, dann würde unweigerlich etwas schiefgehen oder an die Öffentlichkeit dringen.“
Michael Butter in „Verschwörungstheorien im Internet“ (2017)
Dies ist eines der Argumentationsmuster, welche die CIA bereits 1967 in ihrem Dokument empfahl, wo es wörtlich hieß:
„Conspiracy on the large scale often suggested would be impossible to conceal in the United States, esp. since informants could expect to receive large royalties, etc.“
CIA-DISPATCH vom 04.01.1967
(auf deutsch: „Verschwörungstheorien sind in großem Maßstab in den Vereinigten Staaten unmöglich geheim zu halten, da mögliche Informanten [durch Bekanntmachen der Verschwörung] mit großen finanziellen Vorteilen rechnen könnten.“)
Vortrag von Butter vermeidet scharfe Definitionen
Butter gilt in Deutschland als Experte für Verschwörungstheorien. Doch eine trennscharfe Definition, mit welcher man prüfen kann, ob eine Theorie eine „Verschwörungstheorie“ ist, bekommen die Zuhörer in dem Vortrag nicht. Stattdessen gibt Butter ein paar vage Kennzeichen von Verschwörungstheorien wieder:
- Nichts geschieht durch Zufall.
- Nichts ist, wie es scheint.
- Alles ist miteinander verbunden.
Diese Trias stammt aus Butters Buch „Nichts ist, wie es scheint“. Norbert Häring schrieb dazu eine sehr lesenswerte sarkastische Rezension. Darin folgert er – aufgrund der auch von Butter mit aufgebauten negativen Konnotationen des Begriffs –, dass damit der Glaube an die zu dieser „Definition“ entgegengesetzten Thesen bestärkt werden soll:
„Zusammenfassend lautet die hilfreiche Handreichung Butters für Journalisten, Wissenschaftler und Publizisten:
Norbert Häring (2018): Tolles neues Buch! „Nichts ist, wie es scheint“ – Wie man nicht zum Verschwörungstheoretiker wird
1. Was geschieht, geschieht ohne Plan,
2. Alles ist, wie es scheint und offiziell dargestellt wird, egal wie unplausibel und wie hart widerlegbar es ist,
3. Das hat nichts mit irgendetwas anderem zu tun.“
2. Visuelle Darstellung von Verschwörungstheorien
Die Verschwörungs-Pyramide
Der Fokus der Tagung wie auch des Vortrages lag auf den visuellen Stilmitteln, mit welchen „Verschwörungstheorien“ kommuniziert würden. Manchmal werde die gesellschaftliche Machtverteilung in Form einer Pyramide dargestellt.
Er zeigt dazu ein Bild, wo an der Spitze der Pyramide ein Dollar-Zeichen und die „Banking Elite“ steht. In der Mitte ist das Militär zu sehen, und erst weiter unten in der Pyramide „Elected Officials“ mit Bildern der letzten US-Präsidenten: Reagan, Bush Senior, Clinton, Bush Junior und Obama. Butter führt das in seinem Vortrag nicht weiter aus. Die Pyramide kommuniziert – und kritisiert –, dass mächtige Finanz-Institutionen und Netzwerke von Beamten innerhalb von Militär und Geheimdiensten, die über Jahrzehnte in diesen Positionen arbeiten, mehr tatsächliche Macht besitzen als gewählte Politiker.

Da all das unter der Überschrift „Verschwörungstheorie“ erörtert wird, kommuniziert Butter den Zuhörern damit implizit, dass das natürlich (Verschwörungs-) Quatsch ist. Ohne das explizit zu sagen, verstärkt er damit die Botschaft: Es ist alles in Ordnung, die Macht ist ganz demokratisch bei den gewählten Politikern, diese haben alles im Griff, und Korruption, Bestechung, Erpressung und geheime Absprachen zum Nachteil und zur Täuschung der Bevölkerung („Verschwörungen“) gibt es nicht. Nein, Banken und Finanz-Institute sind natürlich nicht zu mächtig, und die gewählten Politiker haben immer die volle Kontrolle darüber, was die Geheimdienste so alles treiben.
Netzwerk-Diagramme als Stilmittel von Verschwörungstheoretikern
Eine andere Form zur Visualisierung von „Verschwörungstheorien“ seien Diagramme. Als Beispiel zeigt er Werke des Künstlers Mark Lombardi, den er als „Verschwörungs-Künstler“ („conspiracy artist“) bezeichnet bzw. diffamiert. Wikipedia tut dies (noch) nicht. Stattdessen schreiben die Wikipedianer über den Künstler:
Dass der Mann kein Verschwörungstheoretiker war, sondern im Gegenteil detektivisch genau recherchierte, beweist die Wirkung seiner Bilder. Ein Journalist des Wall Street Journal, der über die Bush-bin-Laden-Connection recherchierte, soll geschlagene vierzig Minuten vor einer Grafik Lombardis verbracht haben und immer wieder »Oh, mein Gott« gemurmelt haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Lombardi, Stand: 29.06.2025
Falls die Ausführungen über Lombardi ein Vorgeschmack auf Butters neues Buch sind, wäre es nicht überraschend, wenn die Wikipedia-Editoren demnächst mit Verweis auf Butter den Lombardi-Artikel entsprechend „anpassen“. Aber derzeit erfährt man auf Wikipedia noch interessante Hintergründe zu Lombardis Leben, seinen Kunstwerken und seinem Tod.

BCCI: Bank of Crooks and Criminals International
Lombardis Meisterwerk „BCCI–ICIC & FAB, 1972–1991“ sollte im Jahr 2000 im New Yorker Museum „PS 1“ ausgestellt werden. Doch kurz vor der Ausstellung wurde das Bild zerstört:
„Die Sprinkleranlage war einfach losgegangen. Niemand weiß, warum.“
3sat, „Konspirative Kunst – Ein Film über Leben und Werk des Mark Lombardi“
Lombardi begann dann, das Bild neu zu zeichnen. Drei Wochen später war er tot. Man fand ihn erhängt in seinem Atelier. Offizielle Todesursache: Suizid.
Heute ist bekannt, dass Lombardi längere Zeit von der US-Bundespolizei FBI überwacht worden ist und Drohanrufe erhalten hat.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Lombardi, Stand 29.06.2025,

Lombardis Werke aus der Zeit vor den Terroranschlägen am 11. September 2001 (z.B.
„George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens c. 1979-90 5th version ML © 1999“) zeigten u.a. Verbindungen zwischen dem späteren US-Präsidenten George W. Bush Jr., der „Bank of Crooks and Criminals International“ („B.C.C.I.: The Dirtiest Bank of All“) und der Bin Laden-Familie. Im Gegensatz zu Butter, der Lombardi abfällig als „Verschwörungs-Künstler“ bezeichnet, haben FBI-Agenten sogar das „Whitney Museum of American Art“ aufgesucht, um anhand von Lombardis Netzwerk-Diagrammen Verbindungen zwischen kriminellen Akteuren zu verstehen.
In the days following the 9/11 terror attack, an FBI agent visited the Whitney Museum of American Art to see Mark Lombardi’s 1996 drawing ‘BCCI-ICIC & FAB, 1972–91 (4th version)’ (Figure 1) (Hobbs, 2003: 11–12, 95–8). The web-like image comprises a meticulously researched diagram of individuals and groups with ties to a money-laundering organisation that operated under the name of the Bank of Commerce and Credit International (BCCI), which included Osama bin Laden and others associated with al-Qaeda.
Ahnert et al.: „The Network Turn“
Kritik an Butter = „Verschwörungstheorie“
Butter berichtet weiter, dass auch er selbst Gegenstand von Verschwörungstheorien geworden sei. Als Beispiel zeigt er ein Diagramm aus dem YouTube-Kanal „Wikihausen“ (Episode vom 09.06.2020).

In dieser bereits weiter oben erwähnten „Wikihausen“-Episode unterhalten sich Markus Fiedler und Torsten Miertsch über die Hintergründe des Begriffs „Verschwörungstheorie“ und wie damals mit diesem Label Menschen wie Dr. Wolfgang Wodarg sowie sämtliche Kritiker an Coronamaßnahmen diskreditiert wurden.
„Es ist ja auch bezeichnend, dass ein Michael Butter und eine Pia Lamberti und ein Jan Rathje, die ja von Corona Null Ahnung haben, sich erdreisten, Leute als Verschwörungstheoretiker zu brandmarken, die darüber kritische Meinungen äußern.“
Markus Fiedler in „Michael Butter im Netzwerk der Dummschwätzer, eine ‚Verschwörungstheorie‘?“
Das Diagramm zeigt Verbindungen zwischen prominenten Akteuren, die zum Thema „Verschwörungstheorie“ publizieren und in den Medien häufig als Experten zitiert werden. Darunter ist neben Jan Rathje und Pia Lamberti auch Michael Butter zu finden, der in Veröffentlichungen zum Thema häufig als Quelle angegeben wird.
Mit seiner sarkastischen Einordnung des Diagramms kommuniziert Butter, Zusammenhänge zwischen Akteuren seien irrelevant, und wer so etwas analysiert, sei ein geistig verwirrter Idiot, der krude Verschwörungstheorien absondert.
„In fiktionalen Werken kann die Verschwörung real sein“ – in der Wirklichkeit nicht?
Butter setzt seinen Vortrag mit einer Betrachtung von Verschwörungs-Narrativen in fiktiven Werken wie Romanen, Filmen oder TV-Serien fort. Seine Beobachtung: In fast allen dieser fiktiven Werke wechselt die Erzählperspektive irgendwann hin zu den tatsächlichen Verschwörern.
„In the world of fiction the conspiracy can be real.“
Michael Butter in seinem Vortrag am 25.06.2025 in Marburg
Hier erkennt man ein Muster in Butters Erzählweise: Indem er betont, dass in fiktionalen Werken die Verschwörung real sein könne, induziert er beim Hörer die Vervollständigung des Gedankens: In der Wirklichkeit ist die Verschwörung nie real. Und da der Begriff „Verschwörungstheorie“ mangels scharfer Definition auf alles Mögliche angewandt werden kann, kann man mit dem Vorwurf „Verschwörungstheorie“ jeglicher unliebsamen Aussage die Glaubwürdigkeit absprechen. All das sagt Butter nicht direkt und würde es vermutlich auf Nachfrage auch abstreiten. Aber das ist, was bei vielen Zuhörern im Kopf ankommt.
Butter bezeichnet US-Einfluss beim Maidan-Putsch als „Mutter aller Verschwörungstheorien“
Als Beispiel für die cinematographische Darstellung von Verschwörungen zeigte er die Eröffnungsszene der ukrainischen TV-Serie „Servant of the People“. In dieser Serie spielt Wolodymyr Selenskyj den Geschichtslehrer Vasyl Holoborodko, der durch ein zufällig viral gegangenes Video populär wird und die Präsidentschaftswahlen gewinnt.
Die Szene spielt auf einem Balkon mit Blick auf den Maidan-Platz in Kiev. Butter erläutert dazu, dass damit auf „die Mutter aller Verschwörungstheorien“ angespielt werde. Putin und seine Mannschaft glaubten, die Ereignisse 2014 rund um den Maidan-Platz seien ein von der NATO und den USA orchestrierter „regime change“ gewesen. Mit dem Zauberwort „Verschwörungstheorie“ wischt Butter jegliche Indizien beiseite, die darauf hindeuten, dass die Ereignisse als irgendetwas anderes als eine „Revolution der Würde“ zu deuten wären.
Wer nicht fortan als „Verschwörungstheoretiker“ gelten möchte, sollte sich also nicht mit Fragen wie diesen befassen:
- Wer waren die Scharfschützen und welche Beweise haben bisherige Untersuchungen hervorgebracht?
- Welche Rolle spielte Victoria Nuland, und wieso bespricht sie in ihrem berühmten „Fuck the EU“-Telefonat mit Geoffrey Pyatt, dass Klitschko nicht an der Regierung beteiligt sein sollte?
- Welche Rolle spielten US-Initiativen wie das von der US-Botschaft organisierte TechCamp für die Maidan-Proteste?
Wollen Sie als „Verschwörungstheoretiker“ tituliert werden? Nein? Dann gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen!
3. Nutzte Correctiv die Stilmittel von Verschwörungstheoretikern?
Zum Schluss überraschte Butter sein Publikum mit einer sehr unerwarteten „Fallstudie“, in welcher „eine Verschwörung behauptet wurde, die jedoch nie stattgefunden hatte“. Neben anderen Stilmitteln waren in dieser Verschwörungstheorie Visualisierungen – das Thema der Tagung – entscheidend, um die Geschichte glaubhaft zu machen.

Er meint damit den Correctiv-Artikel vom 10. Januar 2024 mit dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“.
Nachdem „übermedien“, Zeit Online und die faz bereits kritische Artikel über den Correctiv-Artikel veröffentlicht hatten, ist von der Glaubwürdigkeit der selbsternannten „Faktenchecker“ nicht viel übriggeblieben. Den Auftakt machte „übermedien“ im Juli 2024. Im Januar 2025 folgten Zeit Online und faz.
Correctiv hat selbst in einer eidesstattlichen Erklärung beteuert, nie behauptet zu haben, dass in Potsdam die Ausweisung deutscher Staatsbürger geplant worden sei.
Das wurde nur so geschickt angedeutet und suggeriert, dass sogar die „Journalisten“ von ARD und ZDF darauf reingefallen sind. heute-journal und tagesschau machten aus den Correctiv-Suggestionen Tatsachenbehauptungen, die ihnen schließlich gerichtlich untersagt wurden:
Nach der tagesschau muss nun auch das ZDF heute-journal eine Niederlage wegen einer interpretierenden Übernahme der Correctiv-Recherche zum Treffen in Potsdam einstecken. Es geht um Aussagen über Pläne zur Ausweisung deutscher Staatsbürger.
LTO (05.11.2024): ZDF verliert Rechtsstreit um Interpretation von Correctiv-Recherche
Diese Massen-Suggestion gelang, so Michael Butter, weil Correctiv in seinem Artikel gezielt eine Reihe von Strategien eingesetzt habe, die von anderen Verschwörungs-Erzählungen bekannt seien. Der Artikel sei wie ein Theaterstück in mehrere „Akte“ und „Szenen“ unterteilt. Damit werde der Eindruck einer packenden, dramatischen Geschichte erweckt, obwohl es sich um ein ziemlich langweiliges Treffen handelte, bei dem die Teilnehmer den ganzen Tag in einem Konferenzraum herumsaßen.

Kontaktschuld und Holocaust-Verharmlosung durch Wannseekonferenz-Assoziation
Butter zeigt auch einen Ausschnitt aus dem Correctiv-Artikel, in welchem ein Bezug zur „Wannseekonferenz“ hergestellt wird. Durch die einfache Erwähnung einer tatsächlichen historischen Verschwörung wird im Kopf der Leser eine Assoziation aufgebaut. Und das funktioniert, obwohl das Treffen im „Landhaus Adlon“ am Lehnitzsee nichts mit der Wannseekonferenz zu tun hat. Wie willkürlich der Wannsee-Bezug ist, zeigt sich daran, dass die Potsdamer Innenstadt inklusive dem Schlosspark Sanssouci deutlich näher am Ort des Geschehens liegt als das Haus der Wannseekonferenz.
Inhaltlich zutreffender wäre es also gewesen, wenn Correctiv stattdessen geschrieben hätte:
„Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp fünf Kilometer entfernt vom Hotel steht das Chinesische Haus im Park Sanssouci, welches eine Mischung von Teilen ostasiatischer Bauformen und ornamentalen Stilelementen des Rokokos in sich vereint.“

Doch damit wäre im Kopf der Leser nicht die gedankliche und emotionale Verbindung zum Holocaust aktiviert worden. Butter benennt dies klar als Beispiel für ein „Kontaktschuld“-Argument („guilt by association“). Eifrige Staatsanwälte könnten auch noch einen Schritt weitergehen und Correctiv Volksverhetzung nach Paragraph 130 des Strafgesetzbuches vorwerfen, da Correctiv unverhohlen eine „historische Parallele“ zwischen der „systematische[n] Vernichtung der Juden“ durch die Nazis und den von Sellner erörterten Remigrationsplänen zieht.
Laut taz wurde kürzlich eine Berlinerin zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie angesichts der
Tötung von Zivilisten in Gaza durch die Israelische Armee und der deutschen Untätigkeit fragte, ob wir aus dem Holocaust nichts gelernt hätten:
„Nach diesem Paragraphen ist seit 1994 auch die Leugnung, Billigung und Verharmlosung der NS-Verbrechen strafbar.“
taz (14.06.2025): „Eine Frage als Holocaust-Verharmlosung“
…
Auf dem oberen Plakat, das sie in die Höhe hielt, stand „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“ Um ihren Hals hing ein zweites Plakat: „NEIN Zu der Ermordung von derzeit 8500 Zivilisten in Gaza“.
Bedeutungslose Details suggerieren Verankerung in der Wirklichkeit
Und natürlich – als Thema der Tagung – ist die Bebilderung ein entscheidendes Element. Das Titelbild zeigt das Hotel vor schwarzem Nachthimmel, und durch das Fenster sind dunkle Schattengestalten zu sehen. Weiter geht es mit einer Karte, in der das Hotel sowie die Kamerapositionen eingezeichnet sind, sowie einem Grundriss des Hotels mit Konferenzsaal, Speisesaal und dem Gästezimmer des Reporters. Diese für die Geschichte des angeblichen „Geheimplans“ völlig bedeutungslosen Details gaukeln dem Leser vor, es handele sich hier um eine unvoreingenommene Dokumentation, die über tatsächliche Ereignisse berichtet. Sie sollen den Eindruck erwecken, die von den Autoren angestellten Spekulationen und Assoziationen wären in der durch die Recherche aufgedeckten Wirklichkeit verankert.

Schließlich werden über den ganzen Artikel hinweg die mit heimlich aufgestellten Kameras aufgenommenen Bilder gezeigt, auf denen die Personen in einer bestimmten Weise mit suggestiven und kontextfreien Zitaten beschriftet werden. Sellner wird mit dem Satz zitiert: „Staatsbürger, das ist das größte Problem, völlig richtig.“ Der Leser wird zu der falschen Schlussfolgerung gedrängt, Sellner fordere hier die Abschiebung deutscher Staatsbürger, während er eigentlich auf eine Frage einer Teilnehmerin antwortend erklärt, dass genau dies eben gar nicht gehe und grundgesetzwidrig sei.
Massenpanik durch Suggestion
Mit dieser suggestiven Erzählweise hat es der Correctiv-Artikel geschafft, bei Millionen von Menschen in Deutschland ein Panik-Gefühl auszulösen. Auch in Marburg glaubten nunmehr viele, die aktuelle politische Situation sei vergleichbar mit dem 20. Januar 1942, als die NS-Regierung zusammen mit den SS-Behörden bei der „Wannseekonferenz“ einen Massenmord an Juden geplant hatten. Auch Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) war darauf hereingefallen und hatte daraufhin am 27.01.2024 eine Großdemonstration organisiert.
Vor 16.000 Teilnehmern sagte er:
„‘Nie wieder ist jetzt!‘, muss gelten, wenn in einer Wannseevilla die Vertreibung von Millionen Menschen aus unserer Mitte, aus unserer Gemeinschaft geplant wird.“
Dr. Thomas Spies am 27.01.2024 (Veröffentlichter Redetext)
Während Butter die durch den Artikel ausgelösten Demonstrationen gegen die AfD begrüßt, hält er den Artikel selbst für kontraproduktiv. Im Ergebnis hat der Correctiv-Artikel den Begriff „Remigration“ bekannt gemacht sowie die öffentliche Debatte über Asyl- und Migrationspolitik massiv in Gang gesetzt.
Missbrauch des Begriffs „Verschwörungstheorie“ als Kampfbegriff
In der Fragerunde gab Butter zu, dass der Begriff „Verschwörungstheorie“ häufig missbraucht wird, um unliebsame Meinungen wie die Kritik an Zwangsimpfungen zu unterdrücken und den öffentlichen Diskurs über ganze Themenkomplexe wie z.B. die Impfpflicht oder die „Laborursprungshypothese“ zu verhindern.

In der deutschen Debatte werde der Begriff „Verschwörungstheorie“ häufig synonym mit Begriffen wie „Fake News“ und „Desinformation“ verwendet, so Butter. Es ist zu begrüßen, dass der Verschwörungstheorie-Experte hier für eine saubere Differenzierung zwischen diesen Konzepten plädiert. Es fehlt leider die selbstkritische Reflektion darüber, dass er selbst in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, Impfpflicht-Gegner in die Schublade „Verschwörungs-Idioten“ zu stecken.
In seinem im September 2020 veröffentlichten Text „Verschwörungstheorien: Zehn Erkenntnisse aus der Pandemie“ blies auch er in Christian Drostens Horn, dass die Laborursprungshypothese als „Verschwörungstheorie“ einzusortieren sei:
„Verschwörungstheorien zum Corona-Virus bieten wenig Neues. Manche kopieren die Muster alter Verschwörungstheorien. Die Idee, dass das Virus gar nicht existiert oder eine im Labor geschaffene Biowaffe ist, ist ein Motiv, das erstmals in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit dem HI-Virus und AIDS auftrat.“
Michael Butter in „Verschwörungstheorien: Zehn Erkenntnisse aus der Pandemie“
Mittlerweile ist bekannt, dass schon im Jahr 2020 der deutsche Auslandsgeheimdienst BND (ebenso wie der US-Auslandsgeheimdienst CIA) die von Butter und Drosten als „Verschwörungstheorie“ abgekanzelte Laborursprungshypothese für plausibel hielt.
Noch lange bevor der Protest gegen Coronamaßnahmen und Impfpflicht so richtig in Gang kam, hatte Michael Butter an einem Leitfaden zu Verschwörungstheorien mitgewirkt, welcher im April 2020 im Rahmen seines EU-geförderten COMPACT-Projekts veröffentlicht wurde. „Anti-Impf-Verschwörungstheorien“ spielen dort bereits eine prominente Rolle.
Obwohl der letzte Abschnitt in Butters Vortrag für die Zuhörer recht überraschend kam, so stellt man doch nach kurzer Recherche fest, dass mit diesem Blick auch schon andere auf die Correctiv-Geschichte geschaut haben. So z.B. Heiner Mühlmann bereits am 16.02.2024 in der NZZ in seinem Gastkommentar „«Geheimplan» – wenn Häuser Geschichten erzählen“:
„Aber weil man diese Dinge in einem verruchten Haus und unter angeblicher Geheimhaltung sagen lässt, wird daraus der Verdacht auf Verschwörung und Hochverrat.“
NZZ, Heiner Mühlmann: „«Geheimplan» – wenn Häuser Geschichten erzählen“
Nach wie vor ein hoch-aktuelles Thema.
Wie wir gerade wieder einmal erzählt bekommen, waren ja auch all die „Gerüchte “ um Jeffrey Epstein und den massiven internationalen Kindermissbrauchs- und Erpressungsring auch nur „Verschwörungstheorien“. Klar. Und Kunden-Listen gibt es nicht, hat es nie gegeben. Das wird nicht nur von der US-Regierung beschworen, sondern u. a. auch von dem über jeden Zweifel erhabenen FBI.
Epstein didn’t kill himself!
Wen’s interessiert:
https://www.youtube.com/watch
v=iscoaJah9qc&list=PL4qnTQzxq5hKHU8nb1ai9PTMZC7bvuV8e&index=1
oder etwas weniger detailliert, aber hervorragend zusammengefasst:
https://www.youtube.com/live/FbbD2cIfccU oder (nicht so schnell und daher noch besser verständlich gesprochen): https://youtu.be/1Y8y1ML1q-M?si=-C6fKxDf1BLGx1XB
oder sehr kursorisch, aber aus dem deutschsprachigen Raum:
https://tkp.at/2025/07/08/fbi-schliesst-epstein-fall/
Nochmal direkt zum Beitrag:
1. Besonderen Dank für die wenigstens hier klargestellte Rehabilitation von Mark Lombardi!
2. Butter ist ein pseudo-intellektueller Auftrags-Schwätzer, eines der vielen Sprachrohe der Mächtigen.
Deren aktuelle Devise heißt offenbar:
Kanonen UND Butter.
Ich sage:
Butter bei die Fische!