Zur Kreistagssitzung am 09.02.2024 SPD, CDU, B90/Grüne, FDP und UWG einen „Dringlichen Antrag“ eingebracht. Damit wollten sie vorgeblich den „Kern unserer Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens“ verteidigen. Hier mein detailierter Kommentar zu diesem Antrag.
1.) Der Antrag ist nicht dringlich
Das zum Anlass genommene „jüngst bekannt gewordene“ Treffen fand im November 2023 statt. Bekannt gemacht wurde es durch eine Veröffentlichung des u.a. aus Steuergeldern finanzierten Mediums „Correctiv“ am 10.01.2024. Ordnungsgemäße Anträge für die Sitzung am 09.02.2024 konnten bis zum 18.01.2024 eingereicht werden. D.h., der Anlass des „Dringlichkeitsantrages“ war mehr als eine Woche vor Ablauf der Antragsfrist. Folglich ist der Antrag nicht dringlich. Insbesondere die SPD hat in der Vergangenheit mit solcher Argumentation die Dringlichkeit von Oppositions-Anträgen bestritten. Es ist hier zu erwarten, dass die SPD in eigener Sache großzügiger urteilt und mit Koalitions-Mehrheit die behauptete „Dringlichkeit“ beschließt. Das wird Wasser auf die Mühlen derer sein, welche das politische Gebaren der etablierten Parteien als unglaubwürdig empfinden. „Demokratiefeindlich“ sind jedoch nicht diejenigen Menschen, die sich aufgrund solcher Vorgänge angewidert von der Politik abwenden, sondern diejenigen, deren Doppelmoral hier offenkundig wird.
2.) Doppelmoral bei Frage der Zuständigkeit
„Der Kreistag erklärt, angelehnt an die „Trierer Erklärung“ des Deutschen Städtetages:“
Immer wieder erklärten die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und FDP bei Resolutionsanträgen der Opposition, der Kreistag möge sich auf Themen beschränken, die unmittelbar den Kreis betreffen und sei daher gemäß §22 der Geschäftsordnung nicht zuständig. In der November-Sitzung des Kreistages am 16.11.2023 hatte der Kreistag Anträge zu den Auswirkungen des Gaza-Konfliktes auf den Landkreis von DIE LINKE sowie der Bürgerliste-Weiterdenken (WDMR) abgesetzt. Die Begründung des SPD-Fraktionsvorsitzenden: Der Kreistag sei nicht zuständig, weil der Landkreis nicht betroffen sei. Zumindest im WDMR-Antrag wurde die Betroffenheit des Landkreises jedoch ausführlich dargelegt. Im aktuellen „Dringlichen Antrag“ der SPDCDUGRÜNEFDPUWG-“Fraktion“ wird jedoch NICHTS zur in §22 der Geschäftsordnung geforderten unmittelbaren und besonderen Betroffenheit des Landkreises ausgeführt. Leider ist davon auszugehen, dass die Mega-Koalition auch hier wieder mit zweierlei Maß misst und beim eigenen Antrag mit ihrer Mehrheit die Zuständigkeit einfach beschließt, statt sie zu begründen.
3.) Delegitimierung und Demokratiefeindlichkeit
Nicht die Kritik der Opposition an der Regierung „delegitimiert“ die Demokratie als solche. Denn Opposition und Kritik an der Regierung sind gerade die Wesensmerkmale einer Demokratie, welche sie von autoritären Regierungsformen unterscheidet.
Aber wenn die machthabenden Parteien ihre Mehrheit ausnutzen, um die eigenen Regeln zu brechen, die nur gegen die Opposition scharf ausgelegt werden, dann wird genau dadurch die Demokratie als solche delegitimiert!
Nun zum konkreten Text der vorgeschlagenen Erklärung.
4.) CDU-Beteiligung am Treffen und Geheimdienstmethoden gegen Opposition
„Das jüngst bekannt gewordene Treffen von AfD-Funktionären mit Mitgliedern der Identitären Bewegung und die dort diskutierte Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland hat uns alle schockiert.“
a) Warum wird CDU-Beteiligung verschwiegen?
Laut Medienberichten waren an besagtem Treffen auch CDU-Mitglieder sowie Anwälte und Unternehmer beteiligt. Da die CDU zu den Antragstellern für diese Erklärung zählt, ist verständlich, dass sie das nicht erwähnt haben möchte. Angesichts der vorgegebenen Schockiertheit der Antragsteller die CDU-Beteiligung zu verschweigen, offenbart einmal mehr Doppelmoral und Verlogenheit im öffentlichen Diskurs durch die etablierten Parteien.
b) Was genau hat „uns“ hier schockiert? Geheimdienstliche Überwachung der Opposition?
Hat es die Antragsteller schockiert, dass ein teilweise aus Steuergeldern finanziertes Medium mit geheimdienstartigem Vorgehen ein privates Treffen ausspioniert hat? Es steht sogar der Verdacht im Raum, dass eine Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst stattfand. Correctiv bestreitet dies.
Was genau auf dem Treffen gesagt wurde und was nicht, ist für die Öffentlichkeit nicht zu überprüfen, da ein möglicherweise bei Correctiv vorliegendes Abhörprotokoll nicht veröffentlicht wurde. Falls ein solches Abhörprotokoll (oder gar Audio- oder Videoaufzeichnungen) vorlägen, so wäre das an sich ein Skandal. Denn dann läge entweder eine illegale Abhöraktion oder eine illegale Zusammenarbeit zwischen Correctiv und dem Inlandsgeheimdienst vor – oder beides.
c) Correctiv-Bericht und Massen-Demos als Ablenkung von anderen Protesten?
Falls bei Correctiv kein vollständiges Wortprotokoll des Treffens vorliegt, dann wäre der correctiv-Bericht vor allem ein Bericht über die Phantasievorstellungen und Verschwörungsmythen der Correctiv-Redaktion. Dann wäre es schockierend, dass die Veröffentlichung dieser Phantasien, gepaart mit von Bürgermeistern und deren Rathausangestellten organisierten Massen-Demos, derart effektiv von den Protesten der Landwirte gegen die Regierungspolitik ablenken konnten.
d) „Geheimplan“ oder Buchvorstellung? Angst vor Inlandsgeheimdienst droht, Diskurs zu verhindern und Demokratie zu zersetzen!
Aus weiteren Medienberichten ging seitdem hervor, dass der private Vortrag Sellners wohl auf einem seiner Bücher basiert, während Correctiv von einem „Geheimplan“ spricht. Ob Sellners Vorschläge tatsächlich – wie Medienberichte suggerieren – eine „Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland“ beinhalten, könnte man also vielleicht durch Lektüre seiner Bücher prüfen. Aber – das wird kaum jemand tun, denn:
Jeder, der gerne auf eine Überwachung durch den Inlandsgeheimdienst (aka „Verfassungsschutz“) verzichtet, wird sich davor hüten, Sellners Buch bei Amazon oder anderswo online zu bestellen.
Und wenn eine gründliche Auseinandersetzung mit den im öffentlichen Diskurs zirkulierenden Thesen aus Angst vor dem Inlandsgeheimdienst nicht stattfindet – dann ist DAS die Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat!
5.) Unglaubwürdiger Bezug zum Landkreis
„Wir nehmen es nicht hin, dass rechtsextreme Kräfte eine Atmosphäre der Verunsicherung, der Angst und des Hasses in unserem Land, in unseren Städten und Gemeinden, im Landkreis Marburg-Biedenkopf, schüren.“
Waren beim Treffen in Potsdam „rechtsextreme Kräfte“ aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf beteiligt? Davon haben wir nichts aus den Medien mitbekommen. Daher wirkt der Bezug zum Landkreis hier recht gekünstelt.
Inwiefern das Treffen in Potsdam im Landkreis Marburg-Biedenkopf eine „Atmosphäre der Verunsicherung, der Angst und des Hasses“ erzeugt, ist nicht ersichtlich. Daher wirkt die Erwähnung des Landkreises in den ansonsten fast unverändert übernommenen Text der Trierer Erklärung wie ein untauglicher Versuch, eine Zuständigkeit nach §22 der GO vorzutäuschen. Dort heißt es:
„§22 Resolutionsanträge
Resolutionsanträge sind nur in Angelegenheiten zulässig, die den Landkreis als kommunale Gebietskörperschaft in seinem örtlichen Wirkungskreis in besonderer Weise unmittelbar betreffen“Geschäftsordnung des Kreistages Marburg-Biedenkopf
6.) Selbstverständlichkeiten
„In unserem Landkreis leben Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen – als Nachbarinnen und Nachbarn, als Kolleginnen und Kollegen, als Freundinnen und Freunde, als Familie. Das ist die Lebensrealität in unseren kommunalen Gesellschaften. Das macht unseren Landkreis aus. Unsere Kommunen, unser Landkreis gehören allen Menschen, die hier leben.“
Diese Selbstverständlichkeiten sind zumindest für uns unbestritten. Wir sind gespannt, wie die AfD sich dazu äußert.
7.) Fehlende Quelle für Vertreibungspläne
„Wir akzeptieren nicht, dass Bürgerinnen und Bürger, dass Familien, dass sogar Kinder in unserem Landkreis Angst davor haben müssen, von hier vertrieben zu werden.“
Uns sind bisher keine solchen Vertreibungspläne bekannt (siehe Berliner Zeitung und Horizont).
Falls es diese gibt, dann sollten hier die konkreten Quellen für diese Behauptung genannt werden. Falls diese Pläne nur aufgrund der Correctiv-Interpretation des ausspionierten Treffens suggeriert werden, so erscheint das recht weit hergeholt.
8.) Demokratie braucht Auseinandersetzung
„Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Bewertungen politischer Themen, auch unterschiedliche Positionen zur Migrations- und Asylpolitik sind Teil unserer Demokratie. Demokratie braucht Auseinandersetzung, Demokratinnen und Demokraten müssen auch Streit aushalten und Widerspruch akzeptieren.“
Dieser Aussage kann ich mich voll und ganz anschließen. Leider wird hier auch wieder die Doppelmoral der Mega-Koalition deutlich, die in der November-Sitzung einerseits eine Debatte im Kreistag zum Gaza-Konflikt durch Absetzen der Oppositionsanträge verhindert hat (wegen vorgeblicher Nicht-Zuständigkeit). Gleichzeitig hat sie mit Hilfe eines Beschlusses des dafür definitiv nicht zuständigen Ältestenrates eine Erklärung durch den Kreistagsvorsitzenden in Auftrag gegeben. Eine Erklärung zu genau dem Thema, zu welchem angeblich keine Zuständigkeit des Kreistages vorliegt!
9.) Menschenwürde – der Kern der Verfassung
„Was wir nicht akzeptieren, ist, wenn der Kern unserer Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens angegriffen wird: die Würde des Menschen. Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat müssen immer wieder neu verteidigt werden.“
Auch dem kann ich mich zu 100 Prozent anschließen. Nur – wo war die SPDCDUGRÜNEFDPUWG, als Ungeimpften der Zutritt zu Kirchen und Weihnachtsmärkten verwehrt wurde, und als Ungeimpften nur mit täglichem – nutzlosen – Corona-Test die Nutzung von Bussen und Bahnen erlaubt wurde?
10.) Staatlich gelenkte „Zivilgesellschaft“
„Eine wehrhafte Demokratie lebt von einer aktiven und wachen Zivilgesellschaft vor Ort. Das haben Hundertausende Menschen in den vergangenen Tagen in vielen deutschen Städten deutlich gemacht.“
In Marburg wie auch in vielen anderen Städten wurden die Großdemonstrationen der „Zivilgesellschaft“ vom Staat organisiert und finanziert. In Marburg hatte der Oberbürgermeister aufgerufen, und Mitarbeiter seiner Stadtverwaltung schrieben zahlreiche Verbände und Vereine an, um diese zur Mobilisierung für die Demo zu gewinnen. Das erinnert eher an die Demonstrationen zum 1. Mai in der DDR, wo das Volk mit roten Nelken ausgestattet wurde, um an der Tribüne der Parteibonzen jubelnd vorbeizumarschieren. Für diese vom Staat organisierten Demos den Begriff „Zivilgesellschaft“ zu verwenden, ist grob irreführend!
11.) Gegen die Spaltung der Gesellschaft – wo wart Ihr in den letzten fast vier Jahren???
„Die Menschen, die aktuell gemeinsam auf die Straßen gehen, um Farbe zu bekennen für Demokratie und Menschenwürde, senden ein klares Signal der Solidarität – und gegen die Spaltung unserer Kreisgesellschaft.“
Wo waren diese Menschen, als während der letzten Jahre Ungeimpfte aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt wurden, die Gesellschaft gespalten wurde? Wo waren diese Menschen, als Ungeimpfte für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung („my body – my choice!“) auf die Straße gingen und von (selbsternannten) „Links“-Extremisten mit Sprüchen wie „WIR IMPFEN EUCH ALLE!“ angeschrien wurden?
Jedem, der sich wirklich für Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen möchte, reichen wir gerne die Hand.
Eine Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten der Corona-Zeit ist dazu unerlässlich.
Update 13.02.2024: Weitere Indizien zur Zusammenarbeit von Correctiv mit Geheimdienst(en)
NiUS berichtet, dass der beim Potsdam-Treffen eingeschleuste Gast unter dem Decknamen „Walter Redelfs“ bereits am 16. Oktober 2023 über booking.com in dem Hotel sein Zimmer reserviert hatte. Da erst einen Monat später der Name Martin Sellner in einer von Gernot Mörig verschickten Einladung fiel, deutet dies darauf hin, dass Correctiv aus anderer Quelle (z.B. dem Innlandsgeheimdienst, aka „Verfassungsschutz“) Informationen über die geplante Teilnahme Sellners hatte.