Filmbericht über Verbot der Filmberichterstattung im Kreistag veröffentlicht

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Vor einem Jahr, am 20. Mai 2022, beschloss der Kreistag Marburg-Biedenkopf, die bis dahin erlaubten Film- und Tonaufnahmen von Kreistagssitzungen durch die Medien fortan zu verbieten. Die Videoaufnahme dieser Sitzung ist nun auf YouTube auf dem Kanal von „Weiterdenken-Marburg“ zugänglich [1].

Grundsatzdebatte zur Filmberichterstattung geht weiter

In der damaligen Debatte betonte u.a. der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert (SPD), dass dieses Verbot nur vorübergehend sei. Es sollte dazu dienen, „den gesamten Komplex der Veröffentlichung von Ton- und Filmaufnahmen gemeinsam in Ruhe zu diskutieren“. Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) hat die damalige Ankündigung von Detlef Ruffert nun in einem Antrag zur kommenden Kreistagssitzung aufgegriffen: Die Kreisverwaltung soll einen Fachtag organisieren, auf dem die rechtlichen, medienethischen und demokratietheoretischen Abwägungen für oder gegen eine Filmberichterstattung aus Kreistagssitzungen in Fachvorträgen und Diskussionsrunden erörtert werden können [2, 3].

Detlef Ruffert (SPD) im Kreistag am 20. Mai 2022
Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) im Kreistag am 20. Mai 2022

Ein zeitgeschichtliches Dokument

Der Filmbericht der Kreistagssitzung, in welcher die Filmberichterstattung verboten wurde, ist ein spannendes zeitgeschichtliches Dokument. Es zeigt die Rhetorik von Kommunalpolitikern sowie die taktischen Spielchen, mit denen die großen Parteien ihre Macht und den Status Quo verteidigen.

Z.B. vermied es Detlef Ruffert in seiner Rede, das Filmverbot als solches beim Namen zu nennen. Stattdessen sagte er, „wir verlassen uns auf die Hessische Gemeindeordnung“ und behauptete, es ginge nicht darum, „die Pressefreiheit in irgendeiner Weise einzuschränken“.

Dr. Frank Michler kritisierte diese rhetorische Vernebelungstaktik:

Es steht sogar in der Antragsbegründung! Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, dann sind für die nächsten Sitzungen, bis eine neue Regelung geschaffen wird, Film- und Tonaufnahmen für die Medien untersagt.“

Dr. Frank Michler im Kreistag am 20.05.2022

Rückblick auf die Filmverbots-Debatte

Bis zum 20. Mai 2022 enthielt die Hauptsatzung des Kreistages Marburg-Biedenkopf eine Regelung, welche Film- und Tonaufnahmen für die Medien explizit erlaubte (damals §4a Absatz 1). Diese mussten lediglich zuvor dem Kreistagsvorsitzenden angezeigt werden. Genau dies tat „Weiterdenken-Marburg“ erstmals im Vorfeld der Kreistagssitzung vom 17.12.2021. Weiterdenken-Marburg betreibt einen YouTube-Kanal, auf welchem über politische Ereignisse berichtet wird, und der auch von der Landesmedienanstalt als „Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ betrachtet wird. Dennoch untersagte der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert – entgegen der Satzung und damit rechtswidrig! – die Filmberichterstattung (siehe Niederschrift der Sitzung [4]). Eine Diskussion darüber war nicht erwünscht und wurde von der Mehrheit des Kreistages abgeblockt.

VG Gießen stoppte rechtswidrige Filmverbote

In den darauffolgenden Kreistagssitzungen folgten weitere Anzeigen geplanter Filmberichterstattung, die jeweils vom Kreistagsvorsitzenden verboten wurden. Dr. Frank Michler klagte schließlich vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Dieses verpflichtete in seinem Beschluss vom 19. Mai 2022 den Kreistagsvorsitzenden dazu, die Filmberichterstattung zuzulassen [5]. Somit konnte die Kreistagssitzung vom 20. Mai 2022 gefilmt werden.

Filmverbots-Debatte konnte gefilmt werden

In genau dieser Sitzung vom 20. Mai 2022 stand auch ein Antrag von Detlef Ruffert auf der Tagesordnung, in welchem die Erlaubnis zu Film- und Tonaufnahmen durch die Medien aus der Hauptsatzung gestrichen werden sollte. So kam es dazu, dass zumindest der Beschluss des Filmverbotes in einem Filmbericht festgehalten werden konnte.

Zu Beginn der Sitzung hatte Dr. Frank Michler versucht, den Filmverbots-Antrag von der Tagesordnung abzusetzen oder verschieben zu lassen. Detlef Ruffert hatte diesen nämlich erst nach Ablauf der Einladungsfrist von drei Wochen eingereicht und zuvor nur einen „Platzhalter“ in die Tagesordnung aufgenommen. Bereits in dieser Geschäftsordnungs-Debatte ging es turbulent zu. Die Querfront von AfD bis zur Klimaliste ließ sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Zudem galt noch ein absurdes „Hygienekonzept“, welches vorsah, dass die Abgeordneten auf dem Weg vom Sitzplatz zum Rednerpult eine Maske aufsetzen mussten.

Turbulente Geschäftsordnungsdebatte am 20. Mai 2022

„Kasperletheater“ im Kreistag

Trotz des eindeutigen Gerichtsbeschlusses versuchte insbesondere der SPD-Fraktionsvorsitzende Werner Hesse, die Filmberichterstattung einzuschränken. Mit Verweis auf die „informationelle Selbstbestimmung sagte er zu dem Kameramann: Machen Sie bitte die Aufnahme jetzt aus!“.

Werner Hesse (SPD) versucht, den Kameramann einzuschüchtern und zur Unterbrechung seiner Aufnhame zu nötigen
Querfront im Kreistag gegen die Pressefreiheit

Der Kameramann ließ sich jedoch nicht einschüchtern und filmte weiter. Werner Hesse beantragte daraufhin eine Sitzungsunterbrechung, in welcher der Ältestenrat zusammengerufen wurde. Dieser kam jedoch zu dem Ergebnis, dass man sich wohl doch an den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Gießen halten sollte und die Filmberichterstattung zulassen muss. Der seit fast einem halben Jahrhundert in der Kommnalpolitik aktive Werner Hesse erklärte daraufhin theatralisch, dass er so – wenn er dabei gefilmt werde – seinen Redebeitrag nicht halten könne. Mark Adel betitelte seinen Bericht über die Sitzung im „Hinterländer Anzeiger“ mit: „Der Kreistag als ‚Kasperletheater’“ [6].

Widerspruch einzelner Abgeordneter nicht möglich

Im Nachgang dieser Kreistagssitzung hat sich u.a. der Hessische Landkreistag mit dem Thema befasst. In einem Vermerk der Kreisverwaltung vom 16. März 2023 heißt es dazu [7]:

Nach Einschätzung des Hessischen Landkreistages kann eine einzelne Abgeordnete oder ein einzelner Abgeordneter den Film- und Tonaufnahmen nicht widersprechen, sobald es eine entsprechende Regelung in der Hauptsatzung gibt.“

Keine Einengung des Medienbegriffs

Auch die Pläne Rufferts für die detaillierte Regelung einer „Medienzugangsberechtigung“ mit einem auf ARD, ZDF und die Oberhessische Presse eingeengten Medienbegriff hielten einer genaueren Prüfung nicht stand. Im Vermerk der Kreisverwaltung wird dazu aus dem Protokoll der Konferenz der Kreistagsvorsitzenden vom 8. und 9. Juni 2022 zitiert:

Hierzu führt Herr (…) [Kommunalabteilung HMdIS] aus, (…) Eine Einschränkung des Medienbegriffes sieht er insbesondere vor dem Hintergrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts kritisch. Bei einer Übertragung der Letztentscheidung auf den Vorsitzenden entstünde der Vorwurf der Parteilichkeit und der „Zensur“, was ebenfalls problematisch wäre.

Dr. Michler erhofft sich in den anstehenden Beratungen eine sachliche Debatte, die das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gebührend würdigt: Wer im Kreistag spricht, um mit seinen Argumenten Beschlüsse herbeizuführen, sollte diese Argumente auch seine Wählerinnen und Wähler hören lassen! Diese sollten sehen und hören können, ob und wie ihre Repräsentanten sie vertreten.“

Quellen und Anmerkungen:

[1] Filmbericht über Filmverbots-Beschluss im Kreistag Marburg-Biedenkopf vom 20. Mai 2022
https://youtu.be/rklsi7kIoaM

[2] Tagesordnung und Unterlagen für die nächste Kreistagssitzung am 2. Juni 2023
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/tops/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZTY0r1r8186G9h1QSBWJNXg

[3] Antrag von Dr. Frank Michler: „Fachtag ‚Filmberichterstattung von Kreistagssitzungen – Pro und Kontra‘“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZdR2wvAdaLCG-KeK8JYAOGV3nuTY5PYXzOsA4EuqSy3r/Antrag_Fraktion_311-2023_KT.pdf

[4] Niederschrift der Kreistagssitzung vom 17.12.2021
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZZlhN836pGgMcuVNbTM3cgthVvd3xhsyJ23TulHOcSnK/Oeffentliche_Niederschrift_Kreistag_17.12.2021.pdf

[5] Verwaltungsgericht Gießen untersagt rechtswidriges Filmverbot
https://weiterdenken-marburg.de/2022/05/19/vg-giessen-kein-filmverbot/

[6] Hinterländer Anzeiger, „Kasperltheater“
https://www.mittelhessen.de/lokales/kreis-marburg-biedenkopf/landkreis-marburg-biedenkopf/marburg-biedenkopf-der-kreistag-als-kasperletheater-1942335

[7] Vermerk der Kreisverwaltung vom 16.03.2023: „Prüfauftrag des Kreistages zur Regelung bzgl. Film- und Tonaufnahmen bei den Sitzungen des Kreistages“
https://marburg-biedenkopf.ratsinfomanagement.net/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZYggS7i1UarXNhLwSZgh9z28P881ZvN0eG8X0lz47jJr/20230316_Anlage_Vermerk_Pruefung_Film_Tonaufnahmen_Hauptsatzung.pdf

Ein Kommentar

  1. Lange Reden, wenig Sinn.
    Bei den meisten kann man es doch so zusammenfassen, wie es im Grunde immer gerechtfertigt wird:
    Wer zensiert, hat Recht!

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