Hass ist keine Lösung! Erlebnisse bei der Demo „Marburg gegen Rechts“

Am 9. Oktober 2023 gegen 19:30 traf ein Demonstrationszug von etwa 500 Menschen am Marburger Marktplatz ein [1]. Die Versammlung war unter dem Motto „Marburg gegen Rechts“ angemeldet worden. Um Überschneidungen der Route zu vermeiden, hatte Weiterdenken-Marburg im Vorfeld die Route des wöchentlichen Montagsspazierganges für diesen Tag geändert [2].

Vorwurf: AfD schürt Hass – Antwort der „Anti“-Faschisten: Hass

In vielen Presseartikeln [3, 4, 5] und auch auf einem Demoschild dieser Demo „gegen Rechts“ [6] wird der AfD vorgeworfen, sie würde Hass schüren. Doch wie können wir mehr gesellschaftliches Miteinander und mehr demokratischen Diskurs bewirken und eine Gesellschaft mit weniger Hass aufbauen? Die selbsternannten „Anti“-Faschisten skandierten ihre Antwort mehrfach am Marktplatz als Sprechchor: „Ganz Marburg hasst die Afd“ [1]. Man will also Hass bekämpfen, indem man Hass schürt. Auf einem Demo-Schild war „FCK AFD“ zu lesen [6]. Manche meinen wohl, durch Weglassen der Vokale bekäme Gossensprache einen intellektuellen Touch.

https://www.youtube.com/watch?v=y1n6z9baxw4

Nazi-Vergleiche

In den letzten drei Jahren verursachte jegliche Andeutung einer Parallele zu 1933 einen Aufschrei der Empörung, und historische Vergleiche wurden nicht als Warnung vor gefährlichen Entwicklungen gesehen, sondern als Verharmlosung des Holocaust skandalisiert. Nun aber scheinen Nazi-Vergleiche ok zu sein. Auf einem Demo-Schild hieß es „AfD wählen ist so 1933“, auf einem anderen war „AfD=Faschisten“ zu lesen, und die Oberhessische Presse verbreitet diese Gleichsetzungen kommentarlos in der Bilderstrecke ihres Redakteurs Thorsten Richter [6].

Begriffsverwirrung wird zum Bumerang im „Kampf gegen Rechts“

Was bewirken solche Gleichsetzungen bei Menschen, die ihre Interessen z.B. auf den Politikfeldern Coronamaßnahmen, Wirtschaft, Energie oder Außenpolitik von den anderen Parteien nicht repräsentiert sehen und daher ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben? Diese könnten nun denken, dass der Begriff „Faschist“ Menschen bezeichnet, die Lauterbachs Aussage „Die Impfstoffe sind nebenwirkungsfrei [7] anzweifeln oder die noch am Wahlkampfslogan der Grünen „Keine deutschen Waffen in Krisengebiete“ [8] festhalten. Die Bedeutungen der Begriffe „Faschismus“ und „Rechts“ werden durch solche Gleichsetzungen aufgeweicht, und der „Kampf gegen Rechts“ bewirkt genau das Gegenteil dessen, was er (vorgeblich) erreichen möchte.

Die Brecht’sche Lösung

Die Verluste für die Ampel-Parteien und die Zugewinne der AfD könnten als klares – und zwar negatives! – Feedback aus der Bevölkerung zur Politik der Bundesregierung verstanden werden. Daraus müsste sich eigentlich ein Diskurs darüber entwickeln, in welchen Punkten die Bundesregierung ihren Kurs deutlich ändern müsste, damit im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes tatsächlich die Staatsgewalt wieder vom Volke ausgeht. Z.B. könnte diskutiert werden, ob ein Vielfaches der Gelder, die an allen Ecken und Enden in der Sozial-, Verkehrs- und Bildungspolitik fehlen, weiterhin in Waffenlieferungen für die Ukraine investiert werden sollten. Und ob damit der Krieg – ohne realistische Chance auf eine grundlegende Änderung der militärischen Kräfteverhältnisse – sinnlos in die Länge gezogen wird.

Stattdessen trägt die Demo von „Marburg gegen Rechts“ jedoch dazu bei, dass diese Diskussionen hinter dem neuen Narrativ eines vermeintlichen Rechtsruckes in der Bevölkerung verschwinden. Fast wie in Bertold Brechts Gedicht „Die Lösung“, wo ebenfalls eine Regierung bekundet, dass sie das Vertrauen in die Bevölkerung verloren habe [9]:

Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Behinderung der Presse

Da 1933 die Pressefreiheit eines der ersten Opfer der Machtergreifung der Nationalsozialisten war [10], sollte man meinen, dass den Organisatoren von „Marburg gegen Rechts“ die Erhaltung der in Artikel 5 formulierten Rechte auf Meinungs- und Pressefreiheit besonders am Herzen läge. Stattdessen wollten sie jedoch eine Filmberichterstattung ihrer Versammlung verhindern.

Dr. Frank Michler war am Marktplatz, um einen Filmbericht über die „Marburg gegen Rechts“-Demo für den YouTube-Kanal von Weiterdenken-Marburg zu drehen. Als die Demo dort eintraf, kam ein Ordner mit den Worten “Ist nicht erlaubt, zu filmen“ auf ihn zu [1]. Die Polizei hatte sogar die Sorge, dass die Demonstranten „gegen Rechts“ gewalttätig werden könnten, und ein Beamter meinte zu Dr. Michler: „Es könnte ja auch gleich deswegen Ausschreitungen geben, möchten Sie das unbedingt riskieren?“

Statt die Pressefreiheit zu schützen und dem Ordner klarzumachen, dass er journalistisch auf der Versammlung tätige Menschen nicht zu behindern hat, versuchte der Polizist also, selbst auf einen Abbruch der Dreharbeiten hinzuwirken. Als der Polizeieinsatzleiter dazukam, klärte dieser den Polizisten über die Rechtslage auf.

Hier stellt sich die Frage, ob Artikel 5 des Grundgesetzes in der Polizeiausbildung nicht mehr angemessen vermittelt wird“, kommentiert Dr. Michler die offenkundige Wissenslücke des Beamten.

Dr. Frank Michler zieht ein ernüchtertes Fazit zu seinen Erlebnissen auf der Demo „Marburg gegen Rechts“:

Wer wirklich verhindern möchte, dass unsere Gesellschaft in eine totalitäre Herrschaftsform abrutscht, muss sich konsequent für die Grundrechte einsetzen. Und wer ‚Hass bekämpfen‘ möchte, wird dies nicht erreichen, wenn er selbst Hass schürt, wie dies auf der vermeintlichen Demo ‚gegen Rechts‘ geschah. Hass ist keine Lösung! Nur mit sachlichem Diskurs und Verständigung haben wir eine Chance auf eine bessere Gesellschaft.“


Quellen und Anmerkungen:

[1] „Marburg gegen Pressefreiheit – Kann man mit Hass einen befürchteten Faschismus verhindern?“ – Videobericht vom 9.10.2023, Abschlusskundgebung der „Marburg gegen Rechts“-Demo
https://www.youtube.com/watch?v=y1n6z9baxw4

[2] Weiterdenken-Marburg verlegte den wöchentlichen Montagsspaziergang am 9.10.2023, damit die Versammlung „Marburg gegen Rechts“ ihre Wunsch-Route mit Abschlusskundgebung am Marktplatz laufen konnte.
https://weiterdenken-marburg.de/2023/10/06/montagsspaziergang-2023-10-09-andere-route-marburg-gegen-rechts/

[3] 24.06.2021, tagesschau: AfD-Aussteiger packen aus – Wenn Hass zum Alltag wird
https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/afd-aussteiger-101.html

[4] 07.08.2023 „Hass und Hetze auf erschreckend hohem Niveau“: Minister geben Schock-Zahlen bekannt – AfD-Politiker in Haft
https://www.tz.de/muenchen/stadt/hass-und-hetze-auf-erschreckend-hohem-niveau-minister-geben-schock-zahlen-bekannt-afd-politiker-in-haft-92446685.html

[5] NZZ, 9.5.2023: „Bei der Vorstellung der Zahlen für 2022 wirbt Innenministerin Faeser für sich und für frühkindliche Demokratieerziehung. Der AfD wirft sie vor, Hass zu schüren.“
https://www.nzz.ch/international/politische-kriminalitaet-faeser-wirft-afd-vor-hass-zu-schueren-ld.1737161

[6] „Fotos: Demo gegen Rechts in Marburg“ von Thorsten Richter
https://www.op-marburg.de/lokales/marburg-biedenkopf/marburg/fotos-demo-gegen-rechts-in-marburg-AUNPZYVGCNDXVEKZ3AF62OJZUY.html

[7] Berliner Zeitung, 21.06.2022:
https://www.berliner-zeitung.de/news/karl-lauterbach-aussagen-zu-impfschaeden-sorgen-fuer-aufsehen-li.238592

Im August 2021 fragte Lauterbach noch auf Twitter, „weshalb eine Minderheit der Gesellschaft eine nebenwirkungsfreie Impfung nicht will, obwohl sie gratis ist und ihr Leben und das vieler anderer retten kann“. In der Sendung „Anne Will“ sagte Lauterbach, man müsse immer wieder vermitteln: „Die Impfungen sind halt mehr oder weniger nebenwirkungsfrei. Das muss immer wieder gesagt werden.“

[8] Grüne: „Keine Deutschen Waffen in Krisengebiete!“
https://gruene-nrw.de/2018/01/keine-deutschen-waffen-in-krisengebiete/

[9] Bertold Brecht, „Die Lösung“

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?

https://www.deutschelyrik.de/die-loesung.html

[10] „28. Februar 1933 – Zuerst stirbt die Freiheit des Wortes“
Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die Nazis beginnen sofort mit der Abschaffung der Demokratie. Eines ihrer ersten Opfer ist die Pressefreiheit.
https://www.spd.de/160-jahre/matrix/1933-vorwaerts-verbot

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert